
Ein Interview mit Julia da Silva-Bruhns, das jedoch nie veröffentlicht wurde.
Interviewer: Madame da Silva-Bruhns, ich habe mich so dafür eingesetzt, dieses Interview mit Ihnen zu führen, weil Sie sagen, Sie wären die wirkliche Mutter eines sehr bekannten Schriftstellers, der Sie jedoch niemals erwähnt, sondern vielmehr behauptet, seine Mutter wäre eine Kommunistin gewesen, die vor kurzem auf La Réunion verstarb.
Da Silva-Bruhns: Das ist richtig.
Interviewer: Wie heißt dieser Schriftsteller denn?
Da Silva-Bruhns: Er ist ein französischer Skandalautor, aber nicht so interessant wie Sie denken.
Interviewer: In medias res, Frau Bruhns, Warum will sich Ihr Sohn, Michel Houellebecq, nicht zu Ihnen bekennen? Was ist da der Hintergrund?
Da Silva-Bruhns: Er wollte berühmt werden und als er die Möglichkeit dazu in Aussicht gestellt bekam, plante er seine Persona, seinen Lebenslauf und seinen ersten richtigen Skandalroman zusammen mit der Werbeagentur Young & Rubicam, wo er auch diesen unerträglichen Frédéric Beigbeder kennen lernte, der daraufhin ebenfalls Skandalautor werden wollte.
Interviewer: Das ist ja allerhand! Wollen Sie mit Ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit gehen?
Da Silva-Bruhns: Young & Rubicam ist die Öffentlichkeit. (Lächelt.) Nein. Die Wahrheit interessiert niemanden.
Interviewer: Doch! Mich! Und meine Leser! Haben Sie sich zerstritten?
Da Silva-Bruhns: Also gut, es gab ein bestimmtes Muster in unserer Beziehung und letztlich haben wir uns entfremdet. Ich gab ihm ‚Rauch‘ von Iwan Turgenew, aber er wollte Dostojewski lesen, wenn Sie verstehen, worauf ich hinaus will.
Interviewer: Ja…
Da Silva-Bruhns: Ich empfahl ihm William Henry Hudson, aber er sagte, er liest lieber H. G. Wells.
Interviewer: Hm.
Da Silva-Bruhns: Und mit Mitte dreißig hat er noch George Orwell gelesen. Da wurde mir klar, wie er sich auf dem Buchmarkt positionieren will.
Interviewer: Aber George Orwell… ist doch ganz gut? Sozialkritisch? ‚1984‘ wird heute wieder viel gelesen.
Da Silva-Bruhns: Ja, also wenn Sie sich für Dostojewski Figuren in einem Roman wie ‚1984‘ interessieren, dann sollten Sie vielleicht ein Buch von meinem Sohn lesen.
Interviewer: Ach, Sie meinen, seine Romane wären eine Mischung aus Dostojewski und Orwell, interessant! (Schaltet sein Aufnahmegerät aus.) Ich dachte, Sie erzählen mir pikante Einzelheiten aus seiner Jugend, aus seinem Liebesleben? Das ist wohl ja kein Wunder, dass sich ein französischer Erfolgsautor nicht zu Ihnen bekennen kann! Sie haben ihn förmlich in die Arme von Young & Rubicam getrieben! Und außerdem – Moment – was ganz anderes. (Schaltet sein Aufnahmegerät wieder ein.) Sind Sie nicht etwas zu jung, um die Mutter von Michel Houellebecq zu sein?
Da Silva-Bruhns: Ich bin 1918 geboren.
Interviewer: (Pause.) Also das – sieht man Ihnen jetzt nicht an. Vielleicht sollten wir lieber einen Artikel darüber schreiben. Können Sie unseren Lesern ein Anti-Falten-Mittel empfehlen?