„…Die Gesundheitsbehörde ist lediglich ein anonymer Despotismus, deren Spione unsere wahren Herren sind. Im Namen des Fortschritts haben wir den Priester durch den Arzt ersetzt; und er ist tausend Mal gefährlicher geworden….“ Zitat aus dem Stück
„Warum? Hängt unser Leben nicht am seidenen Faden der Gnade der Gesundheitsbehörde? Es ist doch so, dass wir jeden Moment verhaftet – Ich bitte um Entschuldigung, ich hätte sagen müssen ‚für invalidiert erklärt‘ werden könnten – und wenn die Beschwerde noch so unbedeutend ist? Was ist der Unterschied zwischen den sozialistischen Krankenhäusern und den kapitalistischen Gefängnissen, abgesehen davon, dass wir von irgendwelchen skrupellosen Ärzten dort interniert werden können ohne Prozess?“
„Mir scheint, dass eure Gesundheitsbehörde eher der alten Inquisition gleicht.“
Oder:
Der entlarvte Übermensch
von Allen Upward, 1915
Original
PARADISE FOUND
Übertragung ins Deutsche 2021 von
Júlia da Silva-Bruhns
Einführung
„…Vor nicht allzu langer Zeit, 1913, hielt ich es für möglich, die Grenzen aufzusprengen mit einer Burlesque von Looking Backward 1 und ähnlichen sozialistischen Prophezeiungen und ich bat Bernard Shaw, ihn auf der Bühne unter seinem eigenen Namen auftreten lassen zu dürfen. Er gab mir sein ermutigendes Einverständnis. Das erste Mal habe ich bei ihm zu Mittag gegessen in seiner Wohnung in Adelphi und hatte eigentlich ein mehr scheinendes als seiendes Mahl erwartet, aber er bewirtete mich großzügig mit Fleisch und Wein. Ich wünschte, meine anderen Abstininzler- und Vegetarier-Freunde wären ähnlich tolerant. „Das gefundene Paradies“, so habe ich diese Satire genannt, zeigt Bernard Shaw, wie er von einem jahrhundertelangen verzauberten Schlaf erwacht, um sich mitten in einem bolschewistischen Millennium wieder zu finden, welches er sogleich wieder abschaffen will….“ (Allen Upward, Some Personalities, Autobiographie)
Dramatis Personae
Mr. Bernard Shaw – der Übermensch

Bühnenmarionetten
Erlauchter Orden der hereditären Fabiangesellschaft:
Markgräfin von Holloway
Lady Wells
Lord Blatchford
Lord Keir-Hardie
H.V.M. Mararajah Sri Singh Mahindar Adhiraj Ranjisinghji Badadur K.G – Vizekönig von England
Munshi des Vizekönigs
Ständige Premierministerin
Ständige Dienerin der Premierministerin
Der Arzt des südöstlichen Gemeindebezirks A. 2.
F.B.O. 109 und C.F.I. 2270 Hausmeister / Raumpfleger der Shaw-Gedenkhalle
Lehrer und Schüler (4 Schüler haben Sprechrollen)
Ein mechanischer Vorsitzender (des Anti-Shaw-Bündnisses)
Kameraden und Krankenschwestern. Etc.
I. Akt
Innenräume der Shaw-Gedenkhalle
II. Akt
Versammlungshalle des Anti-Shaw-Bündnisses
III. Akt
Kabinett des Vizekönigs
Zeit des Geschehens: in 200 Jahren
Dauer: 24 Stunden
ERSTER AKT-Innenräume der Shaw-Gedenkhalle
- INHALT - ein/ausblenden
Bühnenanweisungen:
Die Bühne stellt die Innenräume der Shaw-Gedenkhalle dar, auf der Adelphi Terrace, südöstlicher Gemeindebezirk A. 2. Das Gebäude ist im pseudo-gotischen Stil mit heruntergekommenen Details aus der Zeit Eduards VII. Ein Buntglasfenster im Hintergrund stellt Szenen aus dem Leben von Mr. Shaw 2 dar, unter anderem den Kampf mit den Zensoren und das Duell mit Chesterton.
Eine kleine Tür links vom Betrachter aus führt zum Büro der Fabians. Eine größere Türe zu seiner rechten führt zur Straße hinaus. Über der inneren Tür hängt eine Uhr, die ungefähr zwanzig vor zwölf anzeigt. Am oberen Ende der Halle gibt es ein Podium mit einer niedrigen goldfarbenen Umzäunung mit einem Zutritt auf der linken Seite. In der Mitte des Podiums steht eine Couch, die seitwärts zum Publikum aufgestellt ist. Um die Couch herum stehen fünf Statuen in der folgenden Reihenfolge von links nach rechts: (1) Eine Gipsfigur der Venus von Milo; (2) Eine Figur, die die Personifikation des Königreichs Großbritannien John Bull darstellen soll; (3) Eine Gruppe des Heiligen Georg mit dem Drachen, die die Münzdarstellung wiedergibt; (4) Eine Statue von Hamlet, der über dem Totenkopf meditiert; (5) Ein hölzerner Highlander, lebensgroß, der aus einer Dose schnupft.

Auf der Couch liegt Mr. Shaw in seinem verzauberten Schlaf, in den er am Georgstag 200 Jahre vor Beginn des Stücks von einem bösen Handleser versetzt wurde, der im bezahlten Dienst der Primrose League stand. Sein Kopf liegt auf einem Seidenkissen auf der linken Seite; der Rest der Figur ist verborgen unter einem Mantel von violettem Samt mit Fransen, die golden zu sein scheinen. Haare und Bart sind auf eine abnormale Länge angewachsen, wie das auch bei Friedrich I., Barbarossa, der Fall gewesen sein soll.

Mithilfe eines Opernglases kann man sehen, dass die Figur atmet. Ein gläserner Schaukasten steht an der Wand zwischen dem Podium und dem Eingang von der Straße und enthält ein teilweise verbranntes Exemplar der DAILY MAIL.

Als der Vorhang auf geht, sieht man die Kameraden F.B.O. 109 und C.F.I. 2270 beim Abstauben der Figuren auf dem Podium. Beide tragen die gleiche einfache Sanitärkleidung, die der Kleidung der heutigen Insassen der Arbeitslager in Dartmoor und Portland so weit ähnelt, wie der Zensor dies zulässt. (Sollten die Zensoren nicht einverstanden sein, können die Kostüme auch in die Richtung von Pfandfinder-Uniformen geändert werden.) Zusätzlich tragen die Kameraden noch etwas, was aus Sicht des Publikums aussieht wie Halseisen, die um ihre Hälse gelötet wurden. (Darauf sollen ihre Nummern und Gemeindebezirke eingraviert sein.) F.B.O. trägt rechts eine rote Armbinde, was bedeuten soll, dass er dem schwachen Geschlecht angehört, wie noch erklärt wird. 3
Die Kameraden sprechen Cockney Dialekt ihrer Zeit.
C.F.I. staubt John Bull ab. F.B.O. verlässt die Gruppe des Heiligen Georg mit dem Drachen und geht auf die Venus zu.
C.F.I.
Lass sie in Ruhe. Ich habe dir gesagt, dass ich dir nicht erlaube, sie abzustauben. Das ist nicht anständig.
F.B.O.
Zefix. Du redest, als ob wir in den schlimmen Kapitalistenzeiten leben würden. Weißt du nicht, dass der Anstand abgeschafft wurde? Und sie war eine von denen, die dabei geholfen haben.
C.F.I.
Na klar, na klar. Dafür hatte sie vielleicht auch Gründe, wenn sie so ihre Kleidung getragen hat.
F.B.O.
Du solltest dich schämen, so zu reden. Du weißt so gut wie ich, dass das nicht ihre Schuld war. Das war in diesem zwanzigsten Jahrhundert Mode. Sie sind so auf ihre Abendfeiern und Tanzveranstaltungen gegangen. Sie nannten das ‚tiefer Halssauschnitt‘ oder ‚Dekolleté‘.
C.F.I.
Ich muss schon sagen! Wenn sie das alles als Hals bezeichnet haben, dann Frage ich mich, was sie Hüfte nannten? Aber mir ist das egal; ich mein bloß, dass das für so eine Primrose Dame schon ok war, so herum zu laufen, aber eine Frauenrechtlerin hätte sich wohl schicklicher anziehen können. Sie hat nicht mal eine Halskette!
F.B.O.
Und woher weißt du, dass sie sich nicht aus Prinzip so angezogen hat? Vielleicht war sie eine Kleidungsreformerin, wie er. (Zeigt auf den Highlander.) Er hat keine Hose an.
C.F.I.
Ah, über ihn wissen wir alles. Er war ein Mitglied der Labour Partei, er konnte sich nicht mehr leisten.
F.B.O.
Mehr weißt DU nicht über ihn. Er war der Gründer der Pfadfinder und das war seine Uniform.
C.F.I.
War er nicht.
F.B.O.
Hör mal, hast du die neunte Klasse bestanden?
C.F.I.
Nein.
F.B.O.
Dann brauchst du mir nicht widersprechen, ich nämlich schon.
C.F.I.
Pst. Hier kommt eine Klasse.
Die Kameraden bewegen sich an die rechte Seite und schauen von dort aus zu.
Der Lehrer A.14 der 5. Klasse Grundschule des südöstlichen Gemeindebezirks VII tritt ein. Er sieht sich in der Halle um und gibt dann das folgende Kommando an seine Klasse, um ihre Bewegungen zu lenken.
LEHRER
Rechts schwenkt, marsch! Links schwenkt! Halt! Rechts um! Achtung! Ehrensalut! Links um! Links schwenkt, marsch! Halt! Links um!
Eine Reihe von zwölf bis zwanzig Kindern (je nach Bühnengröße) folgen diesen Befehlen und treten von der Straße her ein. Und nachdem sie vor Mr. Shaw salutieren, marschieren sie vorbei und stehen in einer Reihe links vom Publikum ihrem Lehrer gegenüber, der in der Mitte der Bühne steht.
Lehrer und Schüler sind wie die Kameraden gekleidet und der Lehrer und etwa die halbe Klasse tragen die rote Armbinde. Als die Reihe zum Rampenlicht herunter kommt, wird sie von einem Mädchen angeführt, neben ihr ist ein Junge, ohne seine Armbinde als Erkennungsmerkmal. Der Lehrer hält einen Stab.
LEHRER
Jetzt schauen wir mal, wie viel ihr wisst. Wer war dies? (Zeigt auf Mr. Shaw.)
STIMMEN
Kamerad A.1.
LEHRER
Unter welchem Namen war er im Kapitalistenzeitalter bekannt?
STIMMEN
Shaw – Bernard Shaw – Der heilige Georg – Lloyd George.
LEHRER (Eindrücklich)
Lloyd George Bernard Shaw. Warum nannte man ihn den heiligen Georg? (Zeigt auf die Gruppe mit dem Drachen.)
1. SCHÜLER
Mein Herr, wenn Sie gestatten. Weil er den Drachen erschlagen hat.
LEHRER
Welchen Drachen?
1. SCHÜLER
Der Drache, der versucht hat, ihn umzubringen.
LEHRER
Quatsch! Das nächste Mädchen! Warum antwortest du nicht?
2. SCHÜLER
Ich bin kein Mädchen. Ich bin ein Junge.
LEHRER
Und wie soll ich das riechen? Wo ist deine Armbinde?
2. SCHÜLER
Mein Herr, ich glaub, ich hab sie verloren.
LEHRER
Du schlimmes Kind! Ist dir eigentlich klar, was das heißt? Weißt du, dass ich wegen dir sechs verschiedene Formulare ausfüllen muss? Eine Erklärung, dass du sie verloren hast, eine Anforderung deiner Geburtsurkunde, eine Anforderung an die Stadtverwaltung, eine Erörterung für die Kleidungsverwaltung, ein Zertifikat für das Kultusministerium – und ich weiß nicht, was noch. Das wird Monate dauern, bis du eine neue bekommst. In der Zwischenzeit musst du deinen Ärmel hochkrempeln. (Der Schüler tut es. Der Lehrer wendet sich an den nächsten Schüler.)
Weißt du denn, wofür der Drache steht?
4. SCHÜLER
Mein Herr, wenn Sie gestatten. Für den Zensor. 4
LEHRER
Na gut. Du weißt etwas, aber das ist nicht die richtige Antwort. Wer kann es mir sagen?
(Eine Hand geht nach oben.) Ja?
4. SCHÜLER (Wie auswendig gelernt.)
Der Drache steht für das kapitalistische System, in welchem der ganze Wohlstand das Monopol einiger Auserwählter war, während die Massen im Zustand erbärmlicher Not und Knechtschaft lebten.
LEHRER
Guter Junge – Mädchen, meine ich. Geh nach vorne. (Schüler geht in bewusstem Stolz an die Spitze der Klasse.) Und kann mir jetzt noch jemand sagen, was mit ihm passiert ist?
1. SCHÜLER
Mein Herr, er wurde in einen Schlaf versetzt.
LEHRER
In Hypnose, meinst du. Schlaf ist kein wissenschaftlicher Begriff. Er wurde vor genau zweihundert Jahren in Hypnose versetzt, während er gerade eine Rede hielt gegen den schrecklichen Brauch Kühe und Schafe und andere Tiere zu essen. Wer hat ihn den hypnotisiert?
2. SCHÜLER
Die Metzger.
LEHRER (Ungeduldig)
Weiß es denn wirklich keiner?
4. SCHÜLER (Wie auswendig gelernt.)
Man glaubt, dass das Verbrechen das Werk eines skrupellosen Handlesers war, der von den Menschenfeinden dafür eingesetzt wurde.
LEHRER
Gut. Und wer waren die Menschenfeinde?
3. SCHÜLER
Aber, mein Herr, wenn Sie gestatten, waren sie nicht auch Menschen?
LEHRER
Unsinn! Der nächste?
2. SCHÜLER
Die Kühe und Schafe.
LEHRER
Ich schäme mich für dich. Die Menschenfeinde – (4. Schüler hebt die Hand). Ja?
4. SCHÜLER (Wie auswendig gelernt.)
Die faulen Reichen, die die Einnahmen der unglücklichen Gehaltssklaven verschwendet haben für lasterhafte Vergnügungen wie Fußball, Pferderennen und das Theater. Bitte, mein Herr!
LEHRER
Richtig.
4. SCHÜLER
Aber haben sich die Gehaltssklaven nicht auch mal vergnügt?
LEHRER
Hm. Ah, ich verstehe, was du meinst. Das wird euch alles erklärt, wenn ihr in die neunte Klasse kommt. – Und jetzt – wer ist das? (Zeigt auf die Venus.)

STIMMEN
Venus – Kamerad A.2.
LEHRER
Wer war sie?
2. SCHÜLER
Die Anführerin der Wahnrechtlerinnen.
LEHRER
Du meinst der Wahlrechtlerinnen. Und was weißt du über sie?
1. SCHÜLER
Mein Herr, sie hatte keine Arme.
LEHRER
Falsch. Also, wer kann mir jetzt die Bedeutung davon erklären? Warum wird sie ohne Arme dargestellt?
2. SCHÜLER
Die Regierung hat sie ihr abgeschnitten?
LEHRER
Nein. Es handelt sich hierbei um Symbolismus. Der Bildhauer will damit den hilflosen Zustand verbildlichen, in dem sich die Frauen befunden haben, bevor sie das Wahlrecht erhielten. Was könnt ihr mir sonst noch sagen?
3. SCHÜLER
Durch ihren Einfluss und indem sie mit gutem Beispiel voranging, hat sie die Unterscheidung zwischen den Geschlechtern abgeschafft.
LEHRER
Fast richtig, aber nicht ganz. Sie hat die kapitalistischen Ehegesetze abgeschafft und sie durch das System der eugenischen Verbindungen unter der Kontrolle der Ehebehörde ersetzt.
4. SCHÜLER
Was ist eine eugenische Verbindung, mein Herr?
LEHRER
Das werdet ihr in der neunten Klasse lernen.
F.B.O. (Er schreitet vor, um den Zutritt zum Podium zu öffnen.)
Vorsicht, mein Herr; hier kommen die Fabians.
LEHRER
Schnell! Rechtsum kehrt! Kniefall rechts!
Als der Lehrer und alle Schüler auf das rechte Knie niederfallen, der Tür auf der linken Seite gegenüber, wird sie von innen geöffnet und feierlich treten ein: die Markgräfin von Holloway, Lady Wells, Lord Blatchford und Lord Keir-Hardie. Die Markgräfin ist eine majestätische Person mittleren Alters, trägt eine kleine Krone und einen mit Hermelin verbrämten Umhang, der eine sehr ungenaue Nachahmung der Krönungsrobe einer Peeress ist. Lady Wells, jung und schön, ist gekleidet in der Garderobe einer Debütantin am Hofe, aber auch diese ist in den Einzelheiten fehlerhaft. Lord Blatchford trägt die Kopfbedeckung und den Talar eines Doktors für vergleichende Mythologie der Universität von Wapping über einem Norfolk Anzug. Lord Keir-Hardie trägt die Abendgarderobe eines skrupellosen privaten Gentlemans aus der Zeit Eduards VII, abgesehen von der Krawatte, die knallrot ist.
Alle vier halten Kränze mit emaillierten Blumen und legen diese auf Mr. Shaw. Sie beachten weder die kniende Klasse, noch die Kameraden, die den Zutritt zum Podium für sie geöffnet haben. Die Markgräfin macht den Eindruck der stolzen Veranstalterin einer Aufführung; Lady Wells zeigt noch mädchenhaften Enthusiasmus; Lord Blatchford lächelt zynisch; und Lord Keir-Hardie legt seinen Kranz mit verärgerter Miene nieder und wendet sich mürrisch ab.
MARKGRÄFIN (An den Lehrer gewendet)
Was für eine Klasse ist dies?
LEHRER
Das ist die 5. Klasse der Grundschule 8 des südöstlichen Gemeindebezirks A.14, Ihre Exzellenz.
MARKGRÄFIN
Wo ist das nochmal?
LEHRER
Man nannte die Gegend früher Battersea.
MARKGRÄFIN
Ah ja, ich erinnere mich. Wissen sie denn, dass das einst die Heimat der Sklaverei war, von der ihre Vorfahren befreit wurden vom unsterblichen Dichter John Burns?
LEHRER
Ich habe ihnen gerade über die Revolution erzählt, als Ihre Exzellenzen eintraten.
MARKGRÄFIN (würdevoll)
Erhebe dich! Was ist dein Name, ich meine, deine Nummer?
LEHRER (Erhebt sich)
T. W. 11341, südöstlicher Gemeindebezirk K.17, Ihre Exzellenz.
MARKGRÄFIN
Mach weiter, ich möchte euch hören. Wissen sie denn, wer wir sind? Sie dürfen sich erheben. LEHRER
Steht auf! (Die Klasse erhebt sich und steht den Fabians gegenüber.) Wisst ihr, wer Ihre Exzellenzen sind?
STIMMEN
Fabians.
LEHRER
Mitglieder des Erlauchtesten Ordens der hereditären Fabians. Was hat dieser Orden für uns getan? (Zum vierten Schüler) – Du.
4. SCHÜLER
Er hat der Zivilisation ein Ende gesetzt mit all seinen bösen Begleiterscheinungen und diese ersetzt durch die große Ära der Freiheit, Gleichheit und universeller Kameradschaft.
MARKGRÄFIN
Sehr gut. Und weißt du, wer ich bin? (Der vierte Schüler schweigt.) Und du?
2. SCHÜLER
Mutter, Sie sind ihre Nachfahrin. (Zeigt auf die Venus.)
LEHRER
Ich habe ihnen gerade über Ihre große Vorfahrin erzählt. – (Zu den Kindern) Ihre Exzellenz ist die Markgräfin von Holloway, die Dame Oberin des Ordens.
MARKGRÄFIN
Sicherlich wissen sie das, ohne dass man es ihnen vorsagt. Ich habe Anweisungen gegeben, mein Porträt in allen Schulen des Landes aufzuhängen. Habt ihr mich nicht erkannt?
STIMMEN
Ja – Nein.
MARKGRÄFIN (Zum 2. Schüler, der nein geantwortet hat)
Und warum nicht?
2. SCHÜLER
Mutter, weil Sie so alt aussehen.
MARKGRÄFIN
Wie kannst du so frech sein? (Zum Lehrer) Ich meine dich! Dieses Kind ist geistig zurückgeblieben und sie hat daher nichts in deiner Klasse verloren. Schau, dass du sie der Gesundheitsbehörde meldest.
LEHRER
Natürlich, Ihre Exzellenz. Ich habe es erst heute morgen festgestellt. Sie ist in Wirklichkeit ein Junge.
MARKGRÄFIN
Na, umso schlimmer. Man sollte ihn in ein Heim für unheilbar Geisteskranke schicken. Ich werde mich der Sache annehmen. Was ist seine Nummer?
LEHRER (Liest am Halskragen) V.L.L. 23, Ihre Exzellenz.
MARKGRÄFIN (Holt eine Tafel heraus und schreibt eine Notiz.)
Sehr gut. Also weiter, wir wollen sehen, ob die anderen mental gesund sind.
LEHRER
Dies ist Lord Blatchford. (Zeigt mit dem Stab auf ihn.)
BLATCHFORD
Du musst sie nichts über mich fragen, bleib bei meinem berühmten Vorfahren.
LEHRER
Ihre Exzellenz werden sicher über ihre Fehler hinweg sehen. Wer war dies? (Zeigt auf John Bull.)
STIMMEN
Kerrardie – Blatchford – Wells.
LEHRER
Robert Blatchford, der große Verleger, der als als erster das literarische Genie von Bernard Shaw entdeckte und seine unsterblichen Schriften veröffentlichte. Was war der Name seiner Zeitung?
STIMMEN
The Daily Mail.
LEHRER
Richtig. In diesem Schaukasten (zeigt darauf) seht ihr ein erhalten gebliebenes, aber angebranntes Exemplar der Daily Mail für das letzte Jahr des kapitalistischen Regimes. Diesen verkohlten Seiten verdanken wir fast alles, was wir über die ausgestorbene Gesellschaft des zwanzigsten Jahrhunderts wissen. – Und dies? (Zeigt auf Hamlet.)
1. SCHÜLER
H.G. Wells.
LEHRER
Gut. In ihm erkennen wir den Lieblingsschüler von Bernard Shaw, den inspirierten Seher, der die Zukunft der Menschheit entworfen hat. Was ist der Name seines berühmtesten Werks?
3. SCHÜLER
Robinson Crusoe
4. SCHÜLER
Onkel Toms Hütte
LEHRER
Jawohl. Und weil er dieses Werk geschrieben hat, wurde er in den Uhrturm von London geworfen, auf den Befehl der Kreisverwaltung.
LADY WELLS
Sie dürfen ihnen sagen, dass ich sein Familienrepräsentant bin. Wissen sie denn, dass der Schädel, über den er meditiert, das Symbol des Übermenschen ist?
LEHRER
Dazu wollte ich gleich kommen. (Zu den Schülern.) Habt ihr Lady Wells gehört? So und was ist nun mit dem letzten?
STIMMEN
Kerrardie.
LEHRER
Na kommt, diesmal habt ihr alle recht. Der Vorfahre von Lord Keir-Hardie. (Zeigt auf ihn.) Wisst ihr, warum er so angezogen ist?
4. SCHÜLER
Weil er der Anführer aller Pfadfinder war.
LEHRER
Gut.
BLATCHFORD
Das ist eine Theorie. Aber es gibt auch Gründe anzunehmen, dass das die Uniform war, die früher von den Soldaten getragen wurden, die von den Kapitalisten bezahlt wurden, die Gehaltssklaven niederzumetzeln. Sie waren daher bekannt als die Schwarzbeine oder Schwarzwächter. Manche Gelehrte glauben deshalb, dass Keir-Hardie ursprünglich ein Schwarzbein war, der aber zur Sache der Menschheit durch die Schriften von Bernard Shaw übergetreten ist; woraufhin er sein Amt niederlegte und sich schließlich dazu erniedrigte, Parlamentsmitglied zu werden.
MARKGRÄFIN
Sie verwirren nur ihre Gehirne. Manche von ihnen sind schon jetzt idiotisch genug. (Zum Lehrer.) Das reicht jetzt. Nimm sie fort.
LEHRER
Ja, Ihre Exzellenz. Nun, Kinder, drei Hochrufe auf den Erhabenen Orden, dem ihr Freiheit und Glück verdankt.
Die Klasse jubelt schwach und wird vom Lehrer angeführt, hinauszumarschieren, ebenso wie sie herein gekommen sind. Die Fabians kommen vom Podest herunter.
KEIR-HARDIE
Und dieser Zirkus geht vor sich im Namen des Sozialismus!
MARKGRÄFIN
Du vergisst, dass Kameraden anwesend sind. (Wendet sich an diese.) Das genügt. Warum steht ihr herum und starrt? Geht an eure Arbeit.
Die Kameraden gehen hastig durch die innere Tür.
BLATCHFORD
Es war schon immer so und ich vermute, es wird auch so bleiben.
LADY WELLS
Was für eine Schande. Sie sind schlimmer als Keir-Hardie. Er glaubt an das Prinzip, aber Sie glauben an gar nichts.
BLATCHFORD
Sie können doch nicht von einem Studenten der Vergleichenden Mythologie erwarten, dass er an solche Kuriositäten da glaubt. (Winkt in Richtung des Podiums.)
MARKGRÄFIN
Bitte denken Sie daran, dass eines davon meine Vorfahrin darstellt.
BLATCHFORD
Bitte vergeben Sie mir, Markgräfin. Ich bestreite nicht, dass Sie eine Vorfahrin hatten und dass sie eine Rolle in der Revolution gespielt hat. Aber Sie können wohl keine Einwände haben, wenn ich bezweifle, dass dies ihre Statue ist.
MARKGRÄFIN
Ich möchte Ihre Zweifel lieber nicht hören. Wenn Sie die Ähnlichkeit nicht sehen, andere sehen sie sehr wohl.
BLATCHFORD
Na, jedenfalls hoffe ich, dass ich nicht wie mein angeblicher Vorfahr bin. Wenigstens daran darf ich wohl zweifeln.
MARKGRÄFIN
Ich werde hier nicht länger stehen und Ihnen zuhören. (Sie macht einen Knicks in die Richtung von Shaw und geht würdevoll und überlegen durch die innere Tür hinaus. Die anderen bewegen sich zum Rampenlicht.)
LADY WELLS (In der leisen Stimme einer Warnung.)
Hören Sie. Wenn Sie nicht aufpassen, werden Sie der Gesundheitsbehörde gemeldet.
BLATCHFORD (Bestürzt.)
Das meinen Sie doch nicht ernst?
KEIR-HARDIE
Und das im Zeitalter der Freiheit! Das ist das Ergebnis des Tyrannisierens der elenden Kameraden; wir trauen uns sogar nicht mehr unter einander frei zu sprechen. Die Gesundheitsbehörde ist lediglich ein anonymer Despotismus, deren Spione unsere wahren Herren sind. Im Namen des Fortschritts haben wir den Priester durch den Arzt ersetzt; und er ist tausend Mal gefährlicher geworden.
LADY WELLS
Es ist sehr falsch, so zu sprechen.
KEIR-HARDIE
Warum? Hängt unser Leben nicht am seidenen Faden der Gnade der Gesundheitsbehörde? Es ist doch so, dass wir jeden Moment verhaftet – Ich bitte um Entschuldigung, ich hätte sagen müssen ‚für invalidiert erklärt‘ werden könnten – und wenn die Beschwerde noch so unbedeutend ist? Was ist der Unterschied zwischen den sozialistischen Krankenhäusern und den kapitalistischen Gefängnissen, abgesehen davon, dass wir von irgendwelchen skrupellosen Ärzten dort interniert werden können ohne Prozess?
LADY WELLS
Schämen Sie sich! Die Ärzte sind weise und noble Männer. Ich glaube nicht, dass sie fähig sind, etwas Falsches zu tun.
KEIR-HARDIE
Natürlich nicht! Es ist der blinde Glaube von euch Frauen, der ihnen ihre Macht verleiht und es ihnen ermöglicht, jeden ehrlichen Mann aus dem Weg zu schaffen mit erdichteten Anklagen. Wissen Sie überhaupt, dass sogar ich – obwohl mein Puls fest ist, mein Auge klar und ich erst letzte Woche den Mittelgewicht-Tango-Gürtel erhalten habe – erst gestern gehört habe, dass ich unter Mumps-Verdacht stehe! Und Sie verlangen von mir, dass ich vor dem Unmensch krieche, der für das Ganze verantwortlich ist? (Er winkt mit einer Hand in Mister Shaws Richtung, der in seinem Schlaf hochfährt, was für das Publikum sichtbar ist, aber nicht von den Fabians nicht bemerkt wird, da sie in eine andere Richtung blicken.)
BLATCHFORD
Mein Lieber, wenn Sie mit dem Schinken nach der Wurst werfen, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn Sie als geistig zurückgeblieben registriert werden. Die Menschheit will Idole, um sie zu verehren und diese hier sind ebenso gut wie andere auch.
KEIR-HARDIE
Ich denke nicht an sie, sondern an uns. Vielleicht waren sie ehrlich genug, aber was ist das eigentliche Ergebnis ihrer Arbeit? Statt in Pfund, Pence und Schillingen zu rechnen, tun wir so, als ob wir in Arbeitsstunden rechnen; statt dass man Sie und mich als Adelige bezeichnet, nennt man uns Fabians; und statt die Leute Sklaven zu nennen, nennt man sie Kameraden. Wenn ich daran denke, wie der große Keir-Hardie sein Leben dafür geopfert hat, das Erbprinzip zu überwerfen, dann schäme ich mich zu denken, dass ich eine Million pro Jahr erhalte, weil ich angeblich mit ihm verwandt bin.
LADY WELLS
Sie können Ihre Million ja immer weg schenken.
KEIR-HARDIE
Und was wäre das? Wohltätigkeit! – Dabei rühmen wir uns doch, sie abgeschafft zu haben. Es ist nicht Geld, was die armen Geschöpfe wollen, sondern die Freiheit, ihre Seele ihr eigen nennen zu können. Ich kanns nicht ertragen, sie zu sehen.
LADY WELLS
Ich finde Ihre Sichtweise krankhaft. (KEIR-HARDIE zuckt erschrocken zusammen.) Nein, nein, ich meine nicht krankhaft im medizinischen Sinne. Ich meine, Sie haben sich nichts vorzuwerfen.
KEIR-HARDIE
Sehen Sie selbst in welcher Schreckensherrschaft wir leben. Ich erwarte jeden Tag die Ankündigung, dass Lady Wells für invalidiert erklärt wird.
LADY WELLS
Wie können Sie es wagen! Welche Anklage kann die Gesundheitsbehörde gegen mich erheben?
KEIR-HARDIE
Hexerei.
BLATCHFORD
Lächerlich! Sie sollten sich schämen, so einen Unsinn zu glauben!
KEIR-HARDIE
Es geht nicht um meinen Glauben, sondern um ihren. (Zu LADY WELLS:) Glauben Sie bitte nicht, dass ich den Verräter spielen werde: Ich warne Sie nur um Ihret Willen. Man glaubt, dass Sie heimlich die Kunst der Telepathie ausüben. Ich habe munkeln gehört, dass Sie eine Abhandlung über Handlininedeutung besitzen. Und man verdächtigt Sie, nach verbotenem Wissen zu suchen, um den Zauber zu brechen, der diesen Tyrannen in seinem unheiligen Schlaf festhält.
LADY WELLS
Ah, wenn nur der Meister erwachen könnte, dann wäre der ganze Ärger vorbei.
KEIR-HARDIE
Ich sage Ihnen, es wäre zehn Mal schlimmer. Es ist genau der erbärmliche Aberglaube um ihn herum, der jeder Reform im Weg steht. Die nächste Revolution müsste damit anfangen, diesen Hochstapler in die Luft zu jagen! (MR SHAW zuckt noch heftiger zusammen als vorher.)
LADY WELLS
Ich wünschte, er würde erwachen und wäre es nur für vierundzwanzig Stunden, um Sie Lügen zu strafen.
KEIR-HARDIE
Leise! (Er blickt sich nervös nach MR SHAW um.) Wenn Sie so weiter wünschen, könnte er aufwachen. Woher soll ich wissen, ob Sie nicht in diesem Moment telepathische Wellen aussenden?
BLATCHFORD
Seien Sie kein Esel. Sie tun so, als ob Sie Lady Wells warnen wollen, wegen ihrer harmlosen Phantasien und dabei vergessen Sie, in welcher Gefahr Sie selbst sind. Ich habe gehört, dass Sie ein Anti-Shaw-Bündnis gegründet haben. (KEIR-HARDIE lässt den Kopf hängen.)
LADY WELLS
Hat er das? (Zu KEIR-HARDIE:) Wenn ich der Meinung wäre, dass Sie wirklich den Meister in die Luft jagen wollten, dann würde ich Sie dem Bezirksarzt melden!
KEIR-HARDIE
Genug! Und das ist die Frau mit der ich einen ganzen Monat verheiratet war!
KEIR-HARDIE geht durch die äußere Tür hinaus, die hinter ihm zuschlägt.
BLATCHFORD
Sie sollten sich nicht so aufreiben. Sie machen sich einen Kopf wegen einer mythischen Gestalt.
LADY WELLS
Wen meinen Sie?
BLATCHFORD (Zeigt auf MR SHAW)
Dieses Ding hier meine ich. Ich kann Ihnen beweisen, dass nie ein Mensch namens Bernard Shaw je gelebt hat.
LADY WELLS
Aber wie? – Weshalb? – Ich verstehe Sie nicht. Er war der Gründer unseres Ordens.
BLATCHFORD
Ganz und gar nicht. Der Fabian-Orden wurde von Fabius gegründet. Ich habe alles über ihn erfahren in einer chinesischen Geschichte Europas aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert. Er war ein Militärbefehlshaber im afrikanischen Krieg und er bekam dem Spitznamen „der Zauderer“ aufgrund seiner langsamen Bewegungen, durch die er den Feind verfehlte.
LADY WELLS
Ich glaube das nicht. Aber selbst, wenn es wahr wäre, dann würde das auch nichts machen. Sie können die Existenz von Bernard Shaw – den Autor der Theaterstücke – nicht leugnen.
BLATCHFORD
Na, das ist genau die Art, wie der Mythos entstanden ist. Ich habe sorgfältig alle verbliebenen Fragmente seiner Stücke mit einem Mikroskop untersucht und ich bin überzeugt, dass Sie von einem Philosophen geschrieben wurden, der auch Anwalt war. Es gibt nur einen solchen Mann, der damals lebte – Lord Chancellor Haldane. Bernard Shaw ist einfach sein Nom-de-Plume.
LADY WELLS
Aber das ist schrecklich! Warum sollte Lord Haldane seine Autorschaft verheimlicht haben?
BLATCHFORD
Weil die Engländer dieser Epoche Geist und Humor als Zeichen des Wahnsinns betrachteten. Um im Leben erfolgreich zu sein, musste jeder so tun, als wäre er langweilig.
LADY WELLS
Das ist alles nichts außer Überspanntheit! Wie erklären Sie sich dies? (Zeigt auf die Gruppe des Heiligen Georg mit dem Drachen.)
BLATCHFORD
Ah, das ist der Schlüssel zur ganzen Verwirrung. Wissen Sie, wen das wirklich darstellt?
LADY WELLS
Natürlich: den Heiligen George Bernard Shaw.
BLATCHFORD
Nein, das stellt einen alten englischen König dar, Georg III. Ich habe gerade eine Medaille entdeckt an der Stätte der alten Münzanstalt. (Zeigt ihr ein fünf Schilling Stück.) Offensichtlich wurde dies gemünzt, um an die Schlacht von Waterloo zu erinnern. Der Drache stellt den berühmten Napoleon Bonaparte dar, den der König eigenhändig erschlagen hat.

LADY WELLS
Unmöglich! Ich kann nicht mehr! Aber Moment – wovon sprechen Sie? Dort ist Bernard Shaw ja selbst, er schläft, aber er lebt. Als was bezeichnen Sie ihn?
BLATCHFORD
Als Wachsfigur, muss ich gestehen.
LADY WELLS
Oh nein! Sie brechen mir das Herz! Ich sehe doch, dass er atmet.
BLATCHFORD
Dieser Effekt entsteht mechanisch und ist ganz simpel ertüftelt worden.
LADY WELLS
Ich weiß gar nicht, ob ich selbst überhaupt wach bin. Meinen Sie wirklich, er ist nur eine Attrappe? Von wem wurde sie gemacht?
BLATCHFORD
Vermutlich von der Fabian-Gesellschaft zu einer früheren Zeit, um ihre Macht zu festigen. Es ist unsere Position als Wächter des schlafenden Helden, die es uns erlaubt, die Kameraden zu beherrschen.
LADY WELLS
Aber sie kann doch nicht immer so weiter funktionieren, wer zieht sie auf?
BLATCHFORD
Die Markgräfin, vermute ich mal. Sie wissen doch, wie wütend sie wird, wenn die Legende mit Zweifeln beworfen wird. Ich glaube, das Geheimnis wird von einer Dame Oberin zur anderen herunter gereicht. Eines Tages müssen Sie die Attrappe wohl aufziehen.
LADY WELLS
Ich wünschte, Sie hätten mir das nie erzählt! Sie haben meine Illusionen zerstört und mein Leben grau und langweilig gemacht.
BLATCHFORD
Sie haben mich selbst gezwungen zu sprechen, als Sie mich abgewiesen haben wegen dieser absurden Attrappe. Sie sagten, Sie hatten ihm Ihr Jungfrauenherz geweiht.
LADY WELLS
Und das sage ich immer noch. In meinem ganzen Leben war ich nur mit zwölf Männern verheiratet und jetzt werde ich nie wieder lieben.
BLATCHFORD
Sie weisen mich ab wegen einem Mythos?
LADY WELLS
Jawohl!
BLATCHFORD
Sie werden nicht mal für eine Woche mein sein?
LADY WELLS
Nicht mal für einen Tag.
BLATCHFORD
Dann wende ich mich an die Ehebehörde.
LADY WELLS
Feigling! Ach, wenn er das nur hören könnte. (Sie bewegt sich in die Richtung des Podiums.)
BLATCHFORD (Folgt ihr.)
Sie sind wie ein kleines Mädchen mit einer Puppe.
LADY WELLS
Hier liegt mein Held. Sie haben mir das Herz gebrochen, aber mein Ideal können Sie nicht zerstören. (Sie nähert sich der Couch.)
BLATCHFORD
Aber was tun sie da? Sie dürfen die Figur nicht berühren!
LADY WELLS
Ich sage meinem Traum ade. (Sie küsst MR SHAW.)
Er öffnet seine Augen. Sie fährt zurück mit einem Schrei.
MR SHAW
– die ganzheitliche und natürliche Lebensweise einer reinen vegetarischen Ernährung, statt weiterhin diesem barbarischen und verderblichen Brauch zu frönen, blutende Leichname von Kühen und Schafen zu verschlingen. (Als er spricht, setzt er sich auf und blickt um sich.)
Die Uhr schlägt zwölf

BLATCHFORD (Als LADY WELLS rückwärts in seine Arme taumelt)
Sie hat es geschafft!
MR SHAW
Wache oder schlafe ich?
LADY WELLS
Endlich wach, nach zweihundert Jahren.
BLATCHFORD
Was für eine Chance für die Wissenschaft!
MR SHAW
Können Sie mir sagen, wer von uns den Verstand verloren hat?
BLATCHFORD
Keiner, aber es ist für uns genau so schwierig zu begreifen wie für Sie. Es scheint eine Tatsache zu sein, dass Sie seit der Revolution geschlafen haben.
MR SHAW
Welche Revolution? Und was ist das für ein Unsinn mit den zweihundert Jahren?
BLATCHFORD
Ich erkläre es Ihnen. (Zu LADY WELLS) Aber gehen Sie und holen Sie einen Kinematograph. Diese Augenblicke sind zu kostbar, um sie zu verlieren.
LADY WELLS
Nein, lassen Sie mich es ihm erklären. Gehen Sie und holen Sie die Dame Oberin. Sie sollte auf der Stelle Bescheid wissen.
BLATCHFORD
Nein, ich kann meinen Posten nicht verlassen. Sie verstehen nicht wie bedeutend es ist, seine ersten Eindrücke aufzunehmen.
LADY WELLS
Ich werde Sie nicht mit meinem teuren Meister alleine lassen nach Ihren bösartigen Lügen.
BLATCHFORD
Das waren wissenschaftliche Schlussfolgerungen, die nach den üblichen Methoden der vergleichenden Mythologie erreicht wurden.
MR SHAW
Worüber sprechen Sie beide?
LADY WELLS
Er sagt, Sie wären eine mythologische Gestalt.
MR SHAW
Also in diesem Moment neige ich fast dazu, ihm zuzustimmen. Für wen halten Sie mich denn?
LADY SHAW (enthusiastisch)
Für den Heiligen Georg, den Drachentöter.
MR SHAW (besorgt)
Etwas in die Richtung habe ich befürchtet. (Mit beruhigender Stimme:) Ja, Sie haben natürlich vollkommen recht, aber wäre es nicht besser, wenn einer von Ihnen einen Aufseher riefe? Ich würde gerne so bald wie möglich den Oberaufseher sprechen.
LADY WELLS
Das werden Sie. (Zu Lord BLATCHFORD) Warum holen Sie sie nicht?
BLATCHFORD
Können Sie nicht erkennen, was Sie jetzt schon angerichtet haben? Wegen Ihnen denkt der Meister, wir wären in der Geschlossenen.
MR SHAW (Nervös)
Ganz und gar nicht. Ein solcher Gedanke wäre mir gar nicht gekommen.
BLATCHFORD
Ich bin Professor für Vergleichende Mythologie an der Universität von Wapping.
MR SHAW (spricht beruhigend auf ihn ein)
Ganz sicher. Wenn Sie Oxford gesagt hätten, dann würde ich es sogar glauben.
LADY WELLS
Wo ist Oxford?
BLATCHFORD
Lassen Sie es, so einen Ort kann es zu seiner Zeit gegeben haben.
MR SHAW
Verzeihen Sie mir, mein Herr, aber denken Sie beide, dass ich zweihundert Jahre lang geschlafen habe?
LADY WELLS
Ich schon, er aber nicht. Er sagt, Sie wären eine Wachsfigur.
MR SHAW (zuckt zusammen und sagt zu BLATCHFORD)
Dann fände ich es besser, wenn Sie gingen, um die Autoritäten dieser Institution – welcher Art sie nun sein mag – zu rufen. Ich bin mir sicher, dass ich mit dieser jungen Dame gut aufgehoben bin.
LADY WELLS
Lieber Meister, ich würde mein Leben für Sie opfern!
MR SHAW (Eilig)
Andererseits, jetzt wo ich drüber nachdenke, wäre es besser, Sie gingen zusammen.
BLATCHFORD
Vielleicht ist einer der Kameraden unterwegs. (Geht zur inneren Tür, öffnet sie und ruft.) Kamerad!
F.B.O. 109 tritt ein.
MR SHAW
Ist das etwa ein Gefängnis?
BLATCHFORD
Geh und bitte die Dame Oberin sogleich zu kommen und telefoniere nach einem Kinematograph. Der Meister ist erwacht.
F.B.O.
Jawohl, Ihre Exzellenz. (Geht hinaus.)
LADY WELLS
Glauben Sie uns wirklich nicht? Dies ist die Shaw-Gedenkhalle, die eigens erbaut wurde, um Ihnen in ihrem langen hypnotischen Schlaf ein Obdach zu bieten.
MR SHAW
Das kommt davon, wenn man ein Buch liest wie Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 auf das Jahr 1874. Aber wie bin ich hier hin geraten? 5
BLATCHFORD
Hier ist die Dame Oberin.
(Die MARKGRÄFIN VON HOLLOWAY tritt ein.)
MARKGRÄFIN (im Türrahmen)
Hat jemand den Verstand verloren?
MR SHAW
Ich glaube, das trifft auf mich zu.
MARKGRÄFIN
Der Meister! (Eilt zu ihm und kniet nieder.)
BLATCHFORD
Nun, werter Herr, kann ich es Ihnen vielleicht erklären. Sie sind eingeschlafen, während Sie eine Rede über die Vorteile der vegetarischen Ernährungsweise hielten –
MR SHAW
Ich erinnere mich!
BLATCHFORD
Man glaubt, dass Sie heimlich hypnotisiert wurden. Es folgte die sozialistische Revolution und das kapitalistische Regime wurde von Ihren Anhängern gestürzt. Seit dem liegen sie hier und werden von ihren Nachkommen gepflegt.
MR SHAW
Langsam fängt es an, beinahe wahr zu klingen.
MARKGRÄFIN (indem sie sich erhebt)
Ich kann meinen eigenen Ohren noch kaum glauben, sprechen Sie mit mir.
MR SHAW (Legt seine Hand auf seinen Kopf)
Ich versuche nachzudenken. Wie lange sagen Sie, dass ich geschlafen habe?
MARKGRÄFIN
Nur zweihundert Jahre.
MR SHAW
Zweihundert Jahre! Und ich bin in einer anderen Welt?
LADY WELLS
Eine Welt, die durch Ihre Lehren heller und besser geworden ist.
MARKGRÄFIN
Er scheint, dass der Zauber abgelaufen ist.
LADY WELLS
Nein, abgelaufen ist er nicht. (Stolz) Ich habe den Meister erweckt.
MR SHAW
Ach, gäbe Gott, sie hätten mich weiter schlafen lassen! (Neigt sein Gesicht in seine Hände.)
Die äußere Tür öffnet sich und drei Kameraden treten ein mit einer Maschine, die einigermaßen wie ein mechanisches Klavier aussieht mit einem Phonografenempfänger verstehen. Die MARKGRÄFIN fordert durch eine Handbewegung Ruhe. Sie stellen die Maschine in die Nähe der Tür und legen Kabel. Während dies getan wird, versammeln sich die Fabians an der anderen Seite der Bühne und sprechen leise miteinander.
BLATCHFORD
Wir müssen zuerst sehr vorsichtig mit ihm sein. Er ist wie ein Blinder, der zum ersten Mal sein Augenlicht erhält.
MARKGRÄFIN
Wie haben Sie ihn erweckt?
(LADY WELLS senkt ihren Kopf.)
BLATCHFORD
Auf die gleiche Weise wie Dornröschen im Wald erweckt wurde.
MARKGRÄFIN (empört)
Lady Wells!
LADY WELLS
Aber Lord Blatchford hatte mir gerade bewiesen, dass der Meister eine Wachsfigur sein sollte. Ich vermute, das war ein instinktiver Test.
MARKGRÄFIN
Als Oberin des Ordens wäre es mir zugefallen, einen solchen Test durchzuführen, denke ich.
Die Kameraden gehen hinaus und schließen die Tür.
BLATCHFORD
Ab jetzt verlieren wir kein Wort und keine Geste. (Zeigt auf die Maschine.)
MR SHAW (Hebt seinen Kopf) Dies ist viel schlimmer als der Tod. (Die Fabians gehen auf ihn zu.)
MARKGRÄFIN
Ich kann gut verstehen, was Sie empfinden, lieber Meister, aber wir werden versuchen, Sie der verlorenen Freunde wegen zu trösten.
MR SHAW (Er versucht aufzustehen, aber sinkt nieder.)
Ich fühle mich sehr schwach.
MARKGRÄFIN
Ich stütze Sie. (Sie gibt ihm ihren Arm.) Bringt die Couch des Meisters hier her. (Sie führt MR SHAW zum Rampenlicht, die anderen folgen mit der Couch, die sie vor die Maschine stellen. MR SHAW setzt sich. Die MARKGRÄFIN setzt sich neben ihn. LADY WELLS lässt sich auf ein Kissen zu seinen Füßen nieder. LORD BLATCHFORD bleibt stehen.)
LADY WELLS
Sie sind in eine Welt erwacht, die voll von ihren ehrfurchtsvollen Jüngern ist. Alle Ihre Wünsche sind uns Befehle.
MR SHAW
Danke. Könnte ich bitte ein Glas Milch haben. (Die Fabians blicken sich erstaunt und bestürzt an.)
MARKGRÄFIN
Sie haben noch nicht verstanden, wie sehr ihre Prinzipien triumphierten. Kühe wurden vor mehr als hundert Jahren abgeschafft.
LADY WELLS
Aber, Moment! Ich glaube es gibt noch eine im Zoo.
BLATCHFORD
Was könnte das helfen, wenn die Kunst, wie unsere Vorfahren die Milchflüssigkeit aus ihnen extrahieren, verloren gegangen ist?
MARKGRÄFIN
Denken Sie, lieber Meister, wenn wir die Kuh hier her bringen ließen, dass Sie sie melken könnten?
MR SHAW
So lange kann ich nicht warten. Geben Sie mir bitte Brandy.
MARKGRÄFIN (verdutzt)
Was ist das?
BLATCHFORD
Ich glaube, das war ein solch tödlicher Sud mit dem die Kapitalisten gewöhnlich ihre Leibeigenen narkotisieren.
LADY WELLS
Was für ein Unsinn! Der Meister hat doch sein ganzes Leben damit verbracht, den Gebrauch dieser Drogen öffentlich anzuprangern. Er gründete den Royal Automobile Club, um sie abzuschaffen.
MR SHAW
Es scheint ein paar leichte Fehler in meiner Biographie zu geben. Wenn es sonst nichts gibt, geben Sie mir bitte ein Glas Wasser?
MARKGRÄFIN (Blickt auf die Uhr)
Sehr gerne in ein und halb Stunden, sobald die Wasserversorgung des Bezirks angeschaltet wird.
MR SHAW
Großer Gott, meinen Sie, dass ich keinen Schluck Wasser haben kann?
BLATCHFORD
Die Gewohnheit zwischen den Mahlzeiten Wasser zu trinken wurde von der modernen Wissenschaft für so gefährlich erklärt, dass die Versorgung nur drei Mal am Tag angeschaltet wird. Es gibt schwere Strafen dafür, es in Flaschen zu füllen. Ich kann mir wohl denken, dass solche Verordnungen Ihnen etwas seltsam vorkommen, nach der fürchterlichen Anarchie unter der Sie gelitten haben.
MR SHAW
Ah, ja, natürlich, es war in manchen Hinsichten sehr schlecht; aber dennoch – Kann ich etwas zu essen haben?
MARKGRÄFIN
Die Berzirksmahlzeiten werden zur gleichen Zeit wie das Wasser verteilt. Ich muss bei der Kochbehörde die Bedarfsanforderung einer zusätzlichen Portion einreichen.
LADY WELLS
Der Meister soll meine haben, bis seine genehmigt ist.
MR SHAW
Das ist wirklich reizend von Ihnen; aber haben Sie keinen Bezirksapotheker, den Sie mir in der Zwischenzeit schicken könnten? Mir geht es wirklich nicht gut.
DIE FABIANS
Psst! (Sie blicken bestürzt die Maschine an.)
MARKGRÄFIN
Der Meister ist noch nicht völlig wach. Ich bin hocherfreut zu sehen, dass seine lange Trance nicht die geringste schädliche Auswirkung auf ihn hatte.
LADY WELLS
Sie sehen aus wie das blühende Leben.
BLATCHFORD
Der Meister meinte nur, dass er ein wenig schläfrig ist. Er wird sich sicherlich freuen zu hören, dass es in unserem schönen Land keine Krankheiten mehr gibt, dank der Weisheit und Güte unserer erleuchteten Gesundheitsbehörde. (An MR SHAW:) Sogar wenn nur vermutet wird, dass sich jemand nicht in robuster Gesundheit befindet, und die wachsamen Funktionäre der Behörde es herausfinden, schickt man sofort einen Krankenwagen nach ihm und er wird der Obhut und Pflege der Behörde unterstellt, häufig für den Rest seines Lebens.

MR SHAW
Mir scheint, dass eure Gesundheitsbehörde eher der alten Inquisition gleicht.
BLATCHFORD
Davon habe ich noch nie gehört; aber zweifellos gab es selbst in den schrecklichen kapitalistischen Zeiten auch wohlwollende Institutionen.
LADY WELLS
Man muss dem Meister sagen, dass wenn die schwarze Maria —
MR SHAW
Meinen Sie den Gefangenentransporter?
MARKGRÄFIN
Nein, nein! Mein lieber Meister, sicherlich verstehen Sie, dass all diese Alpträume hinweg gefegt wurden. Es gibt keine Gefängnisse im Sozialen Commonwealth. Schwarze Maria ist ein Kosename für die Krankenwagen der Gesundheitsbehörde.
LADY WELLS
Ich wollte Sie nur warnen – ich meine natürlich, Sie durch Kenntnisse ermuntern – denn wenn die Schwarze Maria ein Mal für Sie kommt, dann werden Sie die fürsorglichste Pflege erhalten, obwohl es nicht wahrscheinlich ist, dass wir Sie dann jemals wieder sehen.
MR SHAW
Mir scheint, dass ich gesund bleiben sollte.
MARKGRÄFIN
Genau, das ist schon besser. Vielleicht wäre es vernünftiger für uns, wenn wir in Esperanto sprechen. Ni ciam parolas Esperante kiam ni ne volas, ke niaj kamaradoj komprenu, car antau ol leri gin, ili devas trairi la nauan klason. 6
MR SHAW
Ich habe kein Wort verstanden.
LADY WELLS
Der Meister hat sein Esperanto vergessen!
MR SHAW
Ich konnte es nie.
BLATCHFORD
Wir wollen Ihnen selbstverständlich nicht widersprechen; nur Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Es ist nur natürlich, dass Sie sich zunächst nicht an alles erinnern.
MR SHAW
Werter Herr, ich versichere Ihnen, dass ich die Sprache nie gelernt habe.
LADY WELLS
Meister! Sie haben sie doch erfunden!
MR SHAW
Mir scheint, ich bin nicht der einzige Erfinder. Glauben Sie nicht, dass meine Biographie vielleicht mit der eines anderen vermischt wurde?
BLATCHFORD
Das war immer meine Position. Der Volksglaube ist, dass Sie Dramatiker waren.
LADY WELLS
Aber das stimmt doch, das waren Sie ja?
MR SHAW
Was soll ich denn geschrieben haben?
LADY WELLS
Mensch und Übermensch, Die Lästerschule und Charleys Tante.
MR SHAW
Da bin ich aber dankbar, dass ich nicht im Ruf stehe, Hamlet geschrieben zu haben.
MARKGRÄFIN
Alle Bibliotheken wurden während der Revolution niedergebrannt, wie sie berühmterweise empfohlen haben. Aber die Titel Ihrer Hauptwerke wurden durch die Tradition weitergereicht.
BLATCHFORD
Diese verbrannte Ausgabe Ihres Sprachrohrs, der Daily Mail, ist unsere einzige verlässliche Informationsquelle zu Ihrer Epoche. Und die Schrecknisse, die dort offenbart sind, sind so furchtbar, dass niemand sie lesen darf, es sei denn er hat die neunte Klasse bestanden.
LADY WELLS
Ach, und jetzt kann uns der Meister sicher auch die richtige Antwort geben. Was hat Beryl getan?
MR SHAW
Meinen Sie Christabel?
LADY WELLS
Oh, sagen Sie nicht, dass Sie Beryl Robinson vergessen haben! Die berühmteste Heldin des zwanzigsten Jahrhunderts, das Schreibmaschinenmädchen, das von einem bösartigen Millionär entführt und einem Auto verschleppt wird. Sie wird vor die Wahl gestellt, entweder verliert sie ihre Arbeit oder Diamanten und Schande! Der Bericht dieses Verbrechens geht durch die halbe Ausgabe und bricht auf der letzten Seite ab, die nicht verbrannt wurde mit den Worten „Fortsetzung folgt“.
MR SHAW
Das ist der Fortsetzungsroman!
MARKGRÄFIN
Die Historiker sind sich im Allgemeinen einig, dass diese berühmte Greueltat der letzte Tropfen im Fass war, der die Massen zur Revolte trieb. Aber es gab schon immer Meinungsverschiedenheiten, was die Heldin nun gewählt hat.
LADY WELLS
Jetzt müssen Sie sich einfach erinnern. Was hat Beryl getan?
MR SHAW
Das mag jetzt wirklich seltsam für Sie klingen, ich habe bis zum heutigen Tag noch nie von Beryl gehört, aber ich kann Ihre Frage mit gewissenhafter Sicherheit beantworten. Sie hat ihre Arbeit aufgegeben und wurde damit belohnt, dass sie einen Baron geheiratet hat.
LADY WELLS
Ach, was bin ich froh!
MARKGRÄFIN
Eine höchst zufriedenstellende Lösung.
MR SHAW
War ich der Verleger der Daily Mail?
BLATCHFORD
Natürlich nicht. Ich bin der Nachfahre des Verlegers der Daily Mail. Mein Name ist Blatchford.
LADY WELLS
Und meiner ist Wells.
MARKGRÄFIN
Ich bin die Markgräfin von Holloway. Meine Vorfahrin ist hier. (Sie zeigt auf die Venus.)
MR SHAW (Er wendet sich um zu den Plastiken.)
Gott sei Dank, es ist doch nur ein Alptraum.
LADY WELLS
Meister!
MR SHAW
Ich entschuldige mich, wenn ich Unrecht habe. Aber ich habe immer noch meine Unsicherheit, ob ich wache oder schlafe. Wofür ist diese außergewöhnliche Sammlung gedacht?
BLATCHFORD
Ich hatte immer meine Zweifel, was die Venus betrifft.
MARKGRÄFIN
Erkennen Sie nicht die wichtigste Ihrer Zeitgenossinnen? Sie müssen hundert Mal neben ihr auf der Rednertribüne gestanden sein. Sehen Sie nochmals hin.
MR SHAW
Da könnten Sie schon recht haben, aber ich bin sehr überzeugt, dass ich Sie noch nie so dekolletiert gesehen habe.
BLATCHFORD
Sie müssen dem Meister Zeit lassen. Ich habe Sie gewarnt, dass sein Gedächtnis nur Schritt für Schritt zurück kommen würde.
MARKGRÄFIN
Es wäre eine große Enttäuschung, wenn er alles vergessen hätte. Ich hoffte, Sie hätten uns über die Schrecknisse den zwanzigsten Jahrhunderts erzählen können.
MR SHAW
Eigentlich hatten wir schöne Zeiten.
MARKGRÄFIN
Die Verbrechen auf öffentlichen Straßen, der Streit zwischen dem Kapital und der Arbeiterschaft, die internationalen Kriege, das Blutvergießen, –
(Ein entfernter Pistolenschuss ist von der rechten Seite her zu hören.)
MR SHAW (Überrascht.)
Was ist das?
MARKGRÄFIN (Gleichgültig)
Nur die Kameraden. Ich glaube, dass muss eine kleine Meinungsverschiedenheit sein zwischen den Schneidern und den Näherinnnen.
MR SHAW
Wollen Sie damit sagen, dass sie auf den Straßen kämpfen?
MARKGRÄFIN
Natürlich nicht. Sie denken sicherlich an die bösen alten Tage. Dies ist das Zeitalter des universellen Friedens. (Noch ein Schuss, näher.)
MR SHAW
Was war dann dieses Feuern?
MARKGRÄFIN
Ich vermute das sind die Streikposten der Schneider, die sich gegen die Näherinnen auflehnen.
MR SHAW
Indem sie sie erschießen?
MARKGRÄFIN
Nun, sie dürfen das, wenn es sich um einen Handelsstreit dreht.
BLATCHFORD
Es geht um die Frage der Arbeitsstunden. Laut Gesetz arbeitet jeder vier Stunden pro Tag, aber manche Arten der Arbeit sind leichter als andere, also gilt die Stunde der Näherin nur als eine Viertelstunde.
MR SHAW
Also arbeiten sie eigentlich sechzehn Stunden pro Tag?
BLATCHFORD
Das folgt natürlich daraus, klar.
MR SHAW
Und die Schneider?
BLATCHFORD
Ihre Arbeit ist verantwortungsvoller. Sie müssen Anforderungen von Stoff unterzeichnen an die Bezirksgeschäfte und Rechnungen ausstellen für die fertigen Kleidungsstücke. Die Näherinnen sind ja nur mit dem Machen der Kleidung beschäftigt.
MR SHAW
Und wie lange arbeiten die Schneider?
BLATCHFORD
Das habe ich schon gesagt, vier Stunden.
MR SHAW
Und haben diese Frauen keine Möglichkeit der Entschädigung?
BLATCHFORD
Gewiss. (Eine scharfe Gewehrsalve.) Hören Sie sie nicht?
MR SHAW
Die Frauen verteidigen sich vor den Männern mit Schusswaffen!
MARKGRÄFIN
Nein, nein. Die Frauen stehen ein für ihr Recht auf Arbeit und die Männer halten dagegen.
MR SHAW
Und habt ihr keine Gesetze, um solchen Sachen Einhalt zu gebieten? Keine Polizei?
LADY WELLS
Polizei! Meister, Sie verstehen nicht, was Sie da sagen. Die Polizei wurde im ersten Jahr der Freiheit und Brüderlichkeit abgeschafft.
MARKGRÄFIN
Lassen Sie mich erklären. Die Frauen haben eine ständige Mehrheit im Parlament und natürlich ist das Gesetz auf ihrer Seite. Aber die Gewerkschaften stehen außerhalb des Gesetzes. Ich dachte, dass das von Ihrer Lehre herrührt?
MR SHAW
Ich versuche, mir ins Gedächtnis zurück zu rufen, was ich tatsächlich gelehrt habe.
MARKGRÄFIN
Das Parlament hat letzte Woche ein Gesetz verabschiedet, dass die Stunden der Schneider auf sechzehn hochsetzt und die der Näherinnen auf vier heruntersetzt. Daraufhin gingen die Schneider in Streik und demonstrierten vor den Bezirkskleidungsgeschäften; und ich vermute, die Näherinnen versuchen, die Blockaden zu durchbrechen.
Von Außen hört man weitere Schüsse, gefolgt von einem Schrei. Die Außentüre wird aufgestoßen und eine sechzehnjährige Kameradin, die im Gesicht blutet, taumelt durch und fällt nach der Türschwelle um.
MR SHAW (Springt auf die Füße)
Und diese Grausamkeiten finden in meinem Namen statt!
LADY WELLS
Nein, sie ist hier her gekommen, weil diese Halle ein heiliger Ort ist.
MR SHAW
Na Gott sei Dank! – Warum helfen Sie ihr nicht? (Er geht zum Mädchen, aber die Fabians halten ihn zurück.)
BLATCHFORD
Seien Sie vorsichtig!
MARKGRÄFIN
Es ist illegal, ohne Erste-Hilfe-Zertifikat eine verletzte Person zu berühren. Der Krankenwagen kommt sicher gleich.
LADY WELLS
Hier ist er.
Drei Krankenschwestern in weißer Uniform mit dem roten Genfer Kreuz hinten und vorne abgedruckt, zwei davon mit einer Krankenliege, kommen und tragen das verletzte Mädchen weg und schließen die Tür hinter sich.
MR SHAW
Passieren solche Sachen öfter?
MARKGRÄFIN
Es gibt meist irgend einen Handelskonflikt. Aber ich denke nicht, dass dieser hier ernst ist. (Einige Schüsse fallen in der Entfernung.) Ich glaube, dass die Männer inzwischen erfolgreich waren.
MR SHAW
Aber gibt es denn keine Versuche, diese Gefechte durch Vermittlung zu schlichten?
LADY WELLS
Bitte sprechen Sie nicht so. Man wird es Ihnen verübeln.
MARKGRÄFIN
Wir müssen bedenken, dass der Meister es gewöhnt war, über die Übel des kapitalistischen Regimes in starken Worten zu sprechen. In unserer glücklicheren Zeit ist solche Sprache nicht erlaubt. Da bin ich auch froh. Denn jeder ist wunschlos glücklich.
BLATCHFORD
Schlichtung in Handelskonflikten hat sich als sinnlos erwiesen, da Gehälter jetzt abgeschafft wurden. Es ist die Frage, wessen Arbeit die Härteste ist und das kann natürlich nur entschieden werden durch aktiven Widerstand. Wenn ich bereit bin zu arbeiten, statt Widerstand zu leisten, dann zeigt es, dass ich mit meinem Los einverstanden bin.
MR SHAW
Und wenn Sie sich weigern, überhaupt zu arbeiten?
BLATCHFORD
Das würde beweisen, dass ich ein Invalide – Ungültiger – bin und ich komme unter die Gesundheitsbehörde.
MR SHAW
Ich fange an, die Gesundheitsbehörde zu respektieren.
MARKGRÄFIN
Ich war mir sicher, der Meister würde unsere Institutionen befürworten, sobald sie ihm einleuchtend erklärt würden.
MR SHAW
Aber woher kommt es, dass nicht jeder die Arbeit wählt, die am leichtesten ist?
MARKGRÄFIN
Wählen? Aber natürlich gab es eine gewisse Wahl in den schauerlichen Tagen des Individualismus und des Wettbewerbs.
BLATCHFORD
Heutzutage bekommt jeder die Arbeit, für die er in den Augen der Arbeitsbehörde am geeignetsten ist. Die höheren Ernennungen werden immer noch, wie in Ihrer Zeit, durch offenen Wettbewerb bestimmt.
Es klopft an der Außentür. Ein Friedenswächter tritt ein, der die Uniform eines Polizeibeamten aus dem zwanzigsten Jahrhundert trägt, mit dem einzigen Unterschied, dass er Sandalen an hat.
WÄCHTER
Exzellenzen, Ihre Hoheit, die Ständige Premierministerin, schickt dem Meister ihre Glückwünsche und wird ihn auf der Stelle zu sich rufen. (Geht hinaus.)
MR SHAW
Wer ist das? Ich dachte, die Polizei wurde abgeschafft?
MARKGRÄFIN
Es ist nur einer der Friedenswächter. Sie sind nötig, um die Straßen für uns zu räumen, wenn es zwischen den Kameraden Konflikte gibt.
MR SHAW
Dann sind Sie keine Kameraden?
MARKGRÄFIN
Ich bitte Sie!
LADY WELLS
Wir sind Fabians. Die einzigen Überlebenden des Ordens.
BLATCHFORD
Wir sind die erbrechtlichen Freunde des Volkes und ersetzen die luxuriösen Aristokraten der Vergangenheit.
MR SHAW
Sie scheinen Ihren Platz sehr gut einzunehmen. Und wer ist Ihre Hoheit?
MARKGRÄFIN
Ihre offizielle Bezeichnung ist Ständige Privatsekretärin des Premierministers. Unter dem neuen Regime wird der Premierminister jeden Tag ausgewechselt, um Neid zu vermeiden, so dass die Macht natürlich in die Hände der ständigen Beraterin gefallen ist, die den Posten durch offenen Wettbewerb erhält.
LADY WELLS
Die gegenwärtige Premierministerin ist die vornehmste Frau, die jemals dieses Amt inne gehalten hat. In Ihrer Prüfung hat sie 992000 Punkte von einer Million erhalten.
MR SHAW
Ich hätte gedacht, dass ihr Verstand dabei nachgegeben hat.
LADY WELLS
Nun, seit dem war sie nicht mehr stark genug, zu arbeiten. Daher werden ihre Pflichten erfüllt von der Ständigen Dienerin der Premierministerin.
MR SHAW
Und wie viele Punkte hat sie erhalten?
MARKGRÄFIN
Sie ist nur eine Kameradin. Die Arbeitsbehörde hat sie nominiert.
BLATCHFORD
Wir sollten offen sein zum Meister. Die Ernennung kam durch einen Posten. Sie war die Ehefrau des Ständigen Hallen-Pförtners.
Es klopft. Der Friedenswächter öffnet die Außentüre und lässt die Premierministerin und die Ständige Dienerin ein. Die Premierministerin ist schwarz gekleidet in einem schwarzen Reitanzug mit Zylinder, sie trägt auch eine Brille. Die Dienerin trägt die gewöhnliche Kameradenkleidung. Der Friedenswächter schließt die Türe wieder und bleibt draußen. Die Fabians erheben sich und tauschen zeremonielle Verbeugungen mit der Premierministerin aus.
MARKGRÄFIN (An MR SHAW:)
Das ist Ihre Hoheit. (An BLATCHFORD:) Würden Sie nach einem Stuhl rufen?
(LORD BLATCHFORD geht durch die innere Tür.)
DIENERIN (Sie spricht zur PREMIERMINISTERIN im Ton wie eine Kindergärtnerin zu einem Kind.)
Schütteln Sie die Hand dieses Herren.
PREMIERMINISTERIN (Tut es.) Ich freue mich sehr Sie kennen zu lernen.
MR SHAW (Steht kurz auf.) Ich fürchte, ich habe mich ein wenig verspätet. (Er bietet der DIENERIN seine Hand an, die sich niederkniet und sie respektvoll küsst. Er zieht sie rasch zurück.) Was tun Sie da, gute Frau? Stehen Sie auf.
DIENERIN (Verärgert)
Mein Herr, ich hoffe, dass ich meinen Platz kenne. (Steht auf. LORD BLATCHFORD kehrt zurück mit einem Stuhl, der ihm von der DIENERIN abgenommen wird und den sie vor MR SHAW stellt. Sie führt ihre Herrin dort hin, damit sie sich setzt, die DIENERIN steht respektvoll an ihrer Seite. Die anderen nehmen ihre früheren Posen ein.)
PREMIERMINISTERIN
Es ist ein schöner Tag.
MR SHAW
Vermutlich auf Anweisung der Wetterbehörde.
DIENERIN
Ihre Hoheit hat den Vizekönig von Ihrem Erwachen informiert.
MR SHAW
Noch ein Funktionär! Welcher Vizekönig?
DIENERIN (Überrascht)
Den Vizekönig von England.
MARKGRÄFIN
Der Meister hat noch nicht alle Änderungen vernommen, die seit seiner Zeit stattgefunden haben. (Zu MR SHAW) Sicherlich waren Sie ein Befürworter des allgemeinen Wahlrechts?
MR SHAW
Natürlich.
MARKGRÄFIN
Und für den imperialen Verband?
MR SHAW
Ich war für den Menschheitsverband.
MARKGRÄFIN
Den haben wir noch nicht ganz erreicht, aber wir hoffen, dass dieser kommt. Gegenwärtig zahlen wir nur Deutschland Tribut. Währenddessen wurde das Britische Weltreich zu einem demokratischen Bund. Natürlich trifft sich das imperiale Parlament in Delhi.
MR SHAW
Ich kann mich nicht daran erinnern, das befürwortet zu haben.
MARKGRÄFIN
Aber Sie müssen es doch vorausgesehen haben?
BLATCHFORD
Vielleicht war die Bevölkerung von Indien kleiner als die Bevölkerung von England zu Ihrer Zeit. Heute ist sie über drei hundert Million.
MR SHAW
Und die Kolonien?
BLATCHFORD
England hat zehn Millionen gegenwärtig, das hängt von der eugenischen Politik der Regierung ab. Irland hat fünfzehn Millionen, dank seiner reaktionären Ehegesetze.
MR SHAW
Aber Kanada, Südafrika, Australien – was ist damit?
BLATCHFORD
Kanada ist kein Teil des Empire mehr, nachdem es gegen das Sozialistische Regime rebellierte und danach die Vereinigten Staaten annektierte.
MARKGRÄFIN
Die Bevölkerung von Australien ist unbekannt, da die eingeborene Regierung eine Volkszählung ablehnt. Man schätzt sie auf eine halbe Million.
MR SHAW
Und Südafrika? Ich nehme an, die Buren haben es geschafft?
MARKGRÄFIN
Buren?
LADY WELLS
Wer waren die Buren?
BLATCHFORD
Vielleicht war das ein Stamm, der inzwischen seinen Namen geändert hat. Die tonangebenden Stämme sind heute die Zulus und die Matabele.
MR SHAW
Aber was ist aus den Weißen geworden? (Die Fabians blicken einander verwirrt an.) Weiß es denn niemand?
DIENERIN
Es ist illegal sich auf sie zu beziehen.
MR SHAW
Warum?
MARKGRÄFIN
Um zu verhindern, dass Ihre Lehre in den Augen der Unwissenden und Voreingenommenen in Verruf gerät. Sobald die Schwarzen das Wahlrecht erhielten, befanden sie sich in einer großen Mehrheit und führten den Kannibalismus wieder ein.
MR SHAW
Oh!
MARKGRÄFIN
Das ist ein trauriges Kapitel in der Geschichte der menschlichen Bruderschaft, an das kein Sozialist sich gerne erinnert.
MR SHAW
Das verstehe ich.
LADY WELLS
Der Vizekönig repräsentiert jedenfalls die imperiale Regierung Indiens.
MR SHAW
Und ist der Vizekönig ein Inländer?
DIENERIN
Nein. Seine Vize-Majestät ist ein Hindu – Maharajah Sri Singh Mahindar Adhiraj Ranjisinghji Badadur.
MR SHAW (Will aufspringen, setzt sich aber wieder hin.)
Und Sie meinen das englische Volk unterwirft sich seiner Herrschaft? (Die anderen werfen sich erschrockene Blicke zu.)
MARKGRÄFIN
Wir sind enttäuscht, solch eine Sprache von Ihnen zu vernehmen, lieber Meister. Es klingt, als hätten Sie selbst noch nicht die Vorurteile besiegt, von denen Sie doch uns zu befreien strebten.
BLATCHFORD
Seine Vize-Majestät ist ein weiser und gnädiger Herrscher und wir sind ihm dankbar für seinen Schutz. Außerdem mischt er sich höchst selten in die Angelegenheiten unserer heimischen Regierung. Unsere wahre Herrscherin sitzt dort. (Deutet auf die Premierministerin.)
DIENERIN
Bedanken Sie sich bei dem Herrn.
PREMIERMINISTERIN
Ich danke Ihnen! (Zur Dienerin) Soll ich ihn jetzt fragen, ob er mich heiratet?
DIENERIN
Ich glaube, das dürfen Sie jetzt.
PREMIERMINISTERIN (Zu BLATCHFORD)
Beliebt es Ihnen, mich zu heiraten, mein Herr?
DIENERIN
Nein, nein, das ist der Falsche. Das ist der Herr, den Sie heiraten wollen. (Zeigt auf MR SHAW.)
MARKGRÄFIN
Man hätte mich hierüber informieren sollen.
PREMIERMINISTERIN
Aber dieser hier sagt mir mehr zu.
DIENERIN (Zur MARKGRÄFIN)
Es ist eine Staatsangelegenheit. (Zur PREMIERMINISTERIN) Sie können ihn danach heiraten. Zuerst müssen Sie den Meister fragen.
PREMIERMINISTERIN
Aber er ist so alt!
MR SHAW
Es ist ganz unnötig, diese unglückliche junge Frau zu bedrängen! Ich –
MARKGRÄFIN
Bleiben Sie! Bevor Sie in der Sache eine Entscheidung treffen, bitte ich um Anhörung. Als Nachfahrin der Venus und als Dame Oberin des Fabian-Ordens, habe zuerst ich das Anrecht auf Ihre Hand.
LADY WELLS (Indem sie sich erhebt)
Und ich? – Ich habe den Meister mit meinem Kuss erweckt!
MR SHAW
Dies gibt Ihnen natürlich ein sehr großes Anrecht.
MARKGRÄFIN
Das war ein geraubter Kuss, Sie haben mein Vorrecht übergangen.
LADY WELLS (Zu MR SHAW)
Ich habe Ihnen mein Jungfrauenherz geweiht als sie verzaubert im Schlaf lagen.
MARKGRÄFIN
Und ich habe bereits jahrelang mit der Hingabe einer Tochter über Sie gewacht, bevor dieses Mädchen geboren wurde.
MR SHAW
Das ist eine ausgezeichnete Idee. Ich werde auch weiterhin ein Vater für Sie sein.
MARKGRÄFIN
Ich lehne das ab.
LADY WELLS (Kniet nieder)
Wenn Sie mich abweisen, werde ich mich an die Ehebehörde wenden.
MARKGRÄFIN (Kniet nieder)
Ich habe mehr Einfluss auf die Ehebehörde als sie.
MR SHAW
Stehen Sie auf, meine Damen. Wir sind nicht im Theater.
MARKGRÄFIN (Erhebt sich)
Man könnte schon sagen, dass wir das sind. (Zeigt auf die Maschine.) In diesem Moment befindet sich die Hälfte der Bevölkerung in den Kinopalästen, wo sie uns zusehen und jedem unserer Worte lauschen.
MR SHAW
Gütiger Himmel! (LADY WELLS erhebt sich und posiert für die Maschine.)
BLATCHFORD
Sicherlich hatten Sie Lichtspieltheater? Sie sind in der Daily Mail erwähnt.
MR SHAW
Ja, aber sie waren nicht ganz so gut organisiert wie Ihre es zu sein scheinen. Wir lasen Zeitungen, um uns über Nachrichten zu informieren.
BLATCHFORD
Solche haben wir auch. (Öffnet die Straßentür.) Hören Sie!
STIMME VON DRAUßEN
Extra Spezial! Meister erwacht nach zweihundert Jahren! Hat alles vergessen! Fabians erzählen ihm seine Lebensgeschichte!
MR SHAW
Um Himmels Willen, schaltet das ab! (Zeigt auf die Maschine. Die MARKGRÄFIN und die DIENERIN flüstern miteinander.)
BLATCHFORD
Das ist das zweite Mal, dass Sie dieses seltsame Wort verwenden. Was bedeutet es?
MR SHAW
Welches Wort?
BLATCHFORD
Himmel.
MR SHAW (bitter)
Den versuchte ich eben auf Erden zu errichten.
MARKGRÄFIN
Die Regierung ist nicht einverstanden damit, den Kinematograph auszuschalten. Das würde eine Rebellion verursachen.
MR SHAW
Ist es Ihnen lieber, mich zur Rebellion zu treiben?
LADY WELLS
Bitte seien Sie still! (Legt ihre Hand auf seine Lippen.)
DIENERIN (Hastig)
Vielleicht sollten wir ihn doch besser ausschalten.
MARKGRÄFIN
Ja. Der Meister ist noch nicht so ganz zu sich gekommen.
Sie blickt LORD BLATCHFORD an, der zur inneren Tür geht und sie öffnet. Die Kameraden F.B.O 109 und C.F.I. 2240 werden beim Lauschen entdeckt.
BLATCHFORD
Was macht ihr da? Nehmt das Aufnahmegerät weg.
Die Kameraden treten ein und gehen an MR SHAW vorüber.
MR SHAW
Wer sind diese unglücklichen Wesen?
MARKGRÄFIN
Das sind die Kameraden, die diese Halle pflegen.
MR SHAW (Höhnisch)
Kameraden! – Kommt mal her. (Zu F.B.O.) Wie ist dein Name?
F.B.O.
Ich hab keinen, Meister.
MARKGRÄFIN
Sie finden seinen Namen und seinen Bezirk auf seinem Halseisen.
MR SHAW
Nimm es herunter.
F.B.O. (Lacht)
Man kann es nicht abnehmen.
MARKGRÄFIN
Es ist angelötet.
MR SHAW (Leidenschaftlich)
Und läuft die ganze Bevölkerung mit Halseisen herum, wie Galeerensklaven?
LADY WELLS
Nur die Kameraden – die nicht die neunte Klasse bestanden haben.
MR SHAW (Zu F.B.O.)
Geh und hol mir sofort eine Feile.
MARKGRÄFIN
Mein lieber Meister, Sie müssen sich wirklich etwas Zeit lassen, um sich an die logischen Ergebnisse Ihrer eigenen glorreichen Arbeit zu gewöhnen.
MR SHAW
Ich hoffe, dass ich mich nie an sie gewöhne. Sie nennen mich Meister – will mir denn niemand gehorchen?
PREMIERMINISTERIN (Erhebt sich)
Lassen Sie mich gehen.
DIENERIN
Leise! Denken Sie daran, dass Sie das Regierungsoberhaupt sind.
LADY WELLS
Ich gehe. (Geht durch die innere Tür.)
C.F.I. (Zu F.B.O.)
Der arme Herr glaubt, er ist in die bösen alten Tage zurück, als wir alle Gehaltssklaven waren.
MR SHAW
Nun aber – Bist du ein Mann oder eine Frau?
C.F.I.
Natürlich eine Frau. Sehen Sie nicht meinen Ärmel?
MR SHAW
Und Sie haben auch keinen Namen?
C.F.I.
Nein, Meister; außer zumindest, in unseren Gebäuden nennen sie mich die Herzogin. Und ihn den Herzog.
BLATCHFORD
Es ist merkwürdig, aber manche dieser Adelstitel haben sich im Volksgedächtnis erhalten. Von diesem Mann glaubt man, dass er abstammt von – von wem nochmal?
F.B.O.
Dem Herzog von Wellington.
BLATCHFORD
Ja. Das ist zweifellos ein Mythos. Man glaubt, dass sein Vorfahre ein berühmter Admiral war, während der Regierungszeit Georg VII.
MR SHAW
Da bin ich ausnahmsweise einer Meinung mit Ihnen; es ist ein Mythos. (Zu den Kameraden)
Ich sehe, ihr seid Mann und Frau.
BEIDE (Energisch)
Nein!
MARKGRÄFIN (Schüttelt den Kopf)
Sie schämen sich natürlich, es zuzugeben. Ehen dürfen per Gesetz nicht länger als ein Jahr andauern, aber bedauerlicherweise leben viele dieser unwissenden Kreaturen viel länger mit einander. Wir drücken manchmal ein Auge zu bei diesen wilden Ehen, aber es ist natürlich nicht schicklich, sie offen zu erwähnen.
LADY WELLS kehrt zurück mit einer Feile, die sie MR SHAW überreicht. Er fängt an, C.F.I. Halseisen durchzufeilen.
C.F.I. (Widerstand leistend)
Was machen Sie mit meiner Halskette?
MR SHAW (Lässt die Feile fallen.) Sie haben vergessen, was Freiheit war!
LORD KEIR-HARDIE kommt in großer Aufregung durch die Außentüre herein.
KEIR-HARDIE
Das ist der letzte Strohhalm! Jetzt sind Sie erwacht, um sich an dem Unglück zu weiden, das Sie gebracht haben. Gerade als Ihre Opfer anfingen, sich zu bewegen und davon zu träumen, die guten alten Zeiten zurück zu bringen, da erwachen Sie aus Ihrem verfluchten Schlaf, um die Fesseln um Ihre Hälse noch enger zu verlöten.
MR SHAW
Bravo! Endlich habe ich einen Menschen gefunden. Geben Sie mir Ihre Hand.
KEIR-HARDIE (Zieht seine Hand zurück.)
Ich werde nicht die Hand eines Tyrannen berühren. Ich werde nicht mehr so tun, als ob ich Sie verehre. Ich habe eine Versammlung des Anti-Shaw-Bündnisses einberufen für heute Nacht und ich werde sie zu einer Revolte drängen. (Dreht sich zur Tür. Alle erheben sich bestürzt.)
MR SHAW (Geht ihm nach)
Nehmen Sie mich mit.
ENDE DES AKTES
Pause von zehn bis fünfzehn Minuten, je nach dem Vertrag mit dem Snack-Lieferanten.

ZWEITER AKT-Versammlungshalle des Anti-Shaw-Bündnisses
Bühnenanweisungen
Die Szene befindet sich im Zentrum des Anti-Shaw-Bündnisses. Das ist ein unterirdischer Keller, dem sich eine der Rolltreppen nähert, die seit langem die altmodischen Aufzüge ersetzt haben. Die Rolltreppe kommt hinter hohen Falttüren an in der Mitte der hinteren Wand und besteht aus zwei beweglichen Bändern, die nach oben und nach unten laufen. Die Bänder haben kleine Fußablagen, so ähnlich wie die Gangways bei Passagierschiffen. Die Rolltreppe geht hinauf und hinunter über die Türschwelle, aber der Winkel ist so steil, dass die Personen, die hinabsteigen, normalerweise mit einiger Wucht durch die Falttüre geschleudert werden.
Die Türen sind so gebaut, dass sie sich bei einer Berührung automatisch öffnen und offen bleiben, bis sie per Hand geschlossen werden. An der hinteren Wand, rechts und links vom Eingang hängen Porträts von der Königin Victoria, Napoleon Bonaparte und anderen berühmten Despoten der Antike. Auf der Bühne, rechts vom Publikum aus, steht ein kleiner Tisch mit einer Tischdecke, worauf die gesammelten Fragmente der Werke liegen, die Bernard Shaw von den besten Autoritäten zugeschrieben werden und ein Horn, das einen lärmenden Klang von sich gibt, um Ruhe herzustellen. Hinter dem Tisch und vor der rechten Wand ist ein Mechanischer Vorsitzender. Das ist eine Attrappenfigur, die grob einem Kameraden ähnlich sieht und in einem Stuhl sitzt, ein Grammophon ist daran angeschlossen. Oben am Kopf kann man Pfennige einwerfen. Auf der hinteren Seite des Tisches ist ein Stuhl für den Sekretär und auf der vorderen Tischseite ist noch ein Stuhl für den jeweiligen Redner vor der Versammlung, wenn er aufgrund von Unterbrechungen genötigt wird, sich zu setzen. Auf der gegenüberliegenden Seite der Bühne (und dem Tisch gegenüber) sind Reihen von Bänken. Hinter den Bänken ist ein Regal mit einem Bierfass und Zinnkrügen. Der Keller ist von Elektrizität erhellt.
Der Vorhang hebt sich und dem Publikum wird die Zeit gegeben, die Einzelheiten zu betrachten. Dann öffnen sich die Falltüren und F.B.O. 109 wird auf die Bühne geworfen und landet auf Händen und Knien. MR SHAW und LORD KEIR-HARDIE werden stehend gesehen, einer hinter dem anderen, auf dem herablaufenden Band der Rolltreppe, welche ruckartig anhält, als sich MR SHAWs Füße etwa 45 cm über der Türschwelle befinden. KEIR-HARDIE prallt von hinten heftig mit ihm zusammen und beide schaffen es gerade noch, nicht hinzufallen, indem sie sich an den Handlauf klammern. MR SHAW ist verkleidet mit einem langen, fließenden Mantel, seine Kleidung spielt an auf Staatsroben eines Aldermanns des London County Councils an, einen Schlapphut mit einem breiten Rand und einer schwarzen Maske, die seinen oberen Gesichtsteil verdeckt. Seine Haare und sein Bart wurden auf die im zwanzigsten Jahrhundert normale Länge geschnitten.
F.B.O. (Steht wieder auf geht zum Türeingang.)
Achtung, Meister! Ich helfe Ihnen herunter. (Die Rolltreppe fängt plötzlich wieder an zu funktionieren und MR SHAW und KEIR-HARDIE werden auf F.B.O. geworfen.) Immer ruhig! (Sie gewinnen ihr Gleichgewicht zurück.) So, nun stehen Sie gut.
MR SHAW (Demaskiert sich)
Ist dies die Zentrale des Anti-Shaw-Bündnisses?
KEIR-HARDIE (Er spricht zu MR SHAW in einem unfreundlich-neutralen Ton und sozusagen unwillig.) Ja. Ich rate Ihnen, Ihre Maske wieder anzuziehen bevor einer der Kameraden kommt. Denken Sie dran, ich habe Sie gewarnt, dass Sie Ihr Leben riskieren, wenn Sie hereinkommen.
MR SHAW
Mir scheint, dass jeder sein Leben aufs Spiel setzt mit dieser Vorrichtung. (Zeigt auf die Rolltreppe, die sich jetzt ganz sanft bewegt.) Das ist schlimmer als Earl’s Court. Ich muss gestehen, dass mir die altmodischen Treppenhäuser mehr zusagen.
KEIR-HARDIE
Treppenhäuser? Ich vermute, Sie meinen das, was wir als Aufzüge bezeichnen. Ich glaube es gibt noch manche in den Vororten.
MR SHAW
Nein, nein; ich meine Treppenhäuser – so ähnlich wie das, nur dass es sich nicht bewegte. Die hatten wir vor allem in Privathäusern.
KEIR-HARDIE (Ungläubig)
Aber wenn sich das Treppenhaus nicht bewegt hat, wie sind Sie dann hinaufgekommen?
MR SHAW
Indem man zuerst sein Gewicht auf eine Stufe verlagert hat und dann auf die zweite, so etwa. (Hebt seine Füße und setzt sie wieder nieder.)
KEIR-HARDIE (Erschaudert)
Aber das muss sicher furchtbar gefährlich gewesen sein?
F.B.O.
Da wird mir schon schwindelig, wenn ich bloß daran denke! (Die Rolltreppe hält an.)
KEIR-HARDIE
Na sowas! Sie hat wieder angehalten. Meinen Sie etwa so? (Er setzt einen Fuß auf das aufsteigende Band, als die Rolltreppe wieder sehr schnell anfängt und ihn fast mitgezogen hätte.) Was ist nur mit ihr los? Dass sie so schlecht funktioniert, habe ich noch nie erlebt.
F.B.O.
Das sind die Maschinisten, mein Herr, mit Absicht machen die das. Die wollen ihren Arbeitstag auf drei Stunden reduziert haben, genau wie die Wasserrohraufseher; und weil die Regierung nicht macht, was sie wollen, machen sie sich so lästig wie möglich. (Er schließt die Türen.)
KEIR-HARDIE
Egoistische Deppen! Können sie denn nicht sehen, dass jemand anderer zum Ausgleich immer mehr arbeiten muss, wenn sie weniger arbeiten?
F.B.O.
Oh, ja, ich denke, das wissen die schon ganz gut: aber die sagen, „das ist ein Fall von jeder für sich und der letzte, den beißen die Hunde in diesem gesegneten Commonwealth“. (Er fängt an, den Tisch abzustauben.)
KEIR-HARDIE (Bitter, zu MR SHAW)
Sie versuchen anscheinend nur, Ihre Prinzipien auszuführen: „Nur wer sich selbst helfen kann, kann auch anderen helfen.“ Offensichtlich haben sie damit angefangen, sich selbst zu helfen.
MR SHAW
Habe ich das gesagt?
KEIR-HARDIE
Ja; das steht in Ihrem Die Quintessenz des Ibsenismus. Aber vielleicht ist das ja eines der Dinge, die Sie in unserer Versammlung erklären wollen.
MR SHAW
Sie werden hören, was ich der Versammlung zu sagen habe, wenn sie beginnt.
KEIR-HARDIE
Da bin ich mir nicht so sicher. Es ist wahrscheinlicher, dass man sie niederbrüllt, sobald Sie die Maske abnehmen.
MR SHAW
Meinen Sie damit, dass Sie das Signal dazu geben werden?
KEIR-HARDIE
Ich werde nicht mehr und nicht weniger tun, als ich versprochen habe. Ich habe Sie in Sicherheit hier her gebracht und ich werde der Versammlung mitteilen, dass ich Sie als unter meinem Schutze stehend betrachte. Aber ich kann nicht garantieren, dass Sie angehört werden. Es ist nicht zu spät, um zu Ihren Verehrern zurück zu gehen, wenn Sie Angst haben.
MR SHAW
Vor meinen Verehrern habe ich eben die meiste Angst. Sie scheinen alle den Schwur geleistet zu haben, mich heiraten zu wollen. Drei von ihnen verließ ich, als sie auf dem Weg zur Ehebehörde waren.
KEIR-HARDIE
Jedes Mitglied des Anti-Shaw-Bündnisses hat den Schwur geleistet, Sie umzubringen.
MR SHAW
Sicherlich. Aber ich denke, das ist ganzen besser als die Ehebehörde.
F.B.O.
Ich hoffe nur für Sie, Meister, dass keiner von diesen Romeos und Julias etwas Schlimmeres vor hat, als zur Ehebehörde zu gehen. Vor der Gesundheitsbehörde habe ich nämlich Bammel.
MR SHAW
Unsinn. Was können sie machen? Mir fehlt ja nichts.
KEIR-HARDIE
Was hat das damit zu tun. Glauben Sie, dass die Regierung Schwierigkeiten damit hätte, ein medizinisches Zertifikat auszustellen, wenn sie Sie aus dem Weg räumen möchte? Gab es zu Ihrer Zeit keine Gerichtsmediziner? Und doch sagen Sie: „Wir Sozialisten haben die menschliche Natur untersucht.“
MR SHAW
Der Teufel soll mich holen, wenn ich das gesagt habe.
KEIR HARDIE
Ich zitiere aus Merrie England.
MR SHAW
Ich habe Merrie England nicht geschrieben. Das war Blatchford. 7
KEIR-HARDIE
Ich fürchte, Ihr Gedächtnis ist eher trügerisch. Es gibt keinen Zweifel über die Autorschaft. Wir haben die Textkritik zu einer genauen Wissenschaft reduziert und alle unsere besten Gelehrten sind einer Meinung in diesem Punkt. (Geht zum Tisch.) Ich kann es Ihnen in Ihren gesammelten Werken zeigen.
MR SHAW (Folgt ihm und bemerkt die Attrappenfigur.)
Was zum Kuckuck ist das?
KEIR-HARDIE (Überrascht)
Sie meinen den Vorsitzenden?
MR SHAW
Vorsitzender? Dieses Ding da? Möchten Sie mir sagen, dass Sie ihre Versammlungen durch Maschinen halten lassen? Oder ist das ein Witz?
KEIR-HARDIE
Ich bedauere zu hören, dass Sie glauben, ein Sozialist wäre fähig, einen Witz zu machen. Scherzen ist außerdem per Parlamentsakt verboten. Wenn Sie jemals ein ehrlicher Sozialist gewesen wären, dann würden sie jubeln zu sehen, dass es nicht mehr nötig ist, einem Menschen Autorität über seine Mitmenschen zu geben. Absolute Gleichheit wird durch das Mittel dieses mechanischen Vorsitzenden erreicht, da er keinen Neid hervorruft.
MR SHAW
Ich hätte eher gedacht, dass ein Sozialist von Ihrer Sorte sogar auf das Grammophon neidisch wird. Aber wie funktioniert das Ding?
F.B.O.
Das ist einfach: man muss nur einen Pfennig hier oben in seinen Kopf einwerfen. Und wenn er ausläuft muss man noch einen einwerfen.
MR SHAW
Pfennig? Sie hatten mir doch erzählt, dass Geld abgeschafft wurde.
KEIR-HARDIE
Wurde es auch. Ein Pfennig ist nicht Geld. Es ist eine runde Kupfer-Wertmarke, die fünf Minuten Arbeit eines gesunden Mannes darstellt – das zwölftel einer Stunde. Eine Stunde wird dargestellt durch eine Silber-Wertmarke namens Schilling. Die Stunde wird repräsentiert durch eine goldene, die bekannt ist als Pfund. Die Kameraden erhalten solche Wertmarken als Bestätigung Ihrer Arbeit und tauschen diese gegen Rationen und Kleidung der Bezirksgeschäfte aus.
MR SHAW
Und das nennen Sie nicht Geld? Zeigen Sie mir einen Pfennig. (F.B.O. gibt ihm einen.) Ich sehe keinen Unterschied zwischen diesem und den Münzen des zwanzigsten Jahrhunderts, außer dass sie schlechter verarbeitet sind.
KEIR-HARDIE
Der Unterschied liegt im Prinzip. Das ist ein sozialistischer Pfennig, der gereinigt wurde von den bösen Assoziationen des Kapitalismus und geprägt ist mit der Bruderschaft des Menschen.
MR SHAW
Sie ist geprägt mit dem Kopf eines asiatischen Potentaten, ich vermute mal der Kaiser von Indien. Aber lassen Sie mich sehen, wie das funktioniert. (Er wirft die Münze in den Schlitz.)
MECHANISCHER VORSITZENDER (Nach einer Reihe von anfänglichen quietschenden Hustern.)
Ordnung, Ordnung! Ich rufe hiermit den Sekretär auf, das Protokoll der letzten Sitzung vorzulesen.
MR SHAW
Wunderbar! Das ist ganz sicher eine Verbesserung gegenüber manchen Vorsitzenden, die ich ertragen musste. Aber wie bewerkstelligen Sie es, dass er immer zur rechten Zeit das Richtige sagt?
KEIR-HARDIE
Also, das ist die Schwierigkeit. Wir hoffen aber, die Erfindung wird mit der Zeit verbessert. Alles ist besser, als sich den Diktaten eines Individuums unterwerfen zu müssen.
F.B.O.
Vielleicht möchte der Meister einen Tropfen von unserem Trunk, bevor die Versammlung beginnt. (Führt den Weg zum Fass.)
MR SHAW (Folgend.)
Was haben Sie da? Ich dachte, alkoholische Getränke wurden abgeschafft?
KEIR-HARDIE (Folgend.)
Natürlich wurden sie abgeschafft. Sogar der Trunk ist von der Gesundheitsbehörde verboten worden, obwohl es ein völlig unschuldiges Getränk ist, das aus Hopfen und Gerste hergestellt wird. Aber die Kameraden trinken heimlich recht viel davon.
F.B.O. (Zapft einen Krug.)
Das ist kein alkoholisches Getränk, mein Herr! Das könnte man einem Baby geben.
MR SHAW
Das sieht Bier außerordentlich ähnlich.
KEIR-HARDIE
Das kann natürlich jemanden so vorkommen, der sich noch nicht vertraut gemacht hat mit den gesundheitsfördernden Ergebnissen der Abstinenzgesetzgebung. Der Fleck der kapitalistischen Epoche will sich nicht von Ihnen lösen.
F.B.O. (Pustet den Schaum weg und gibt MR SHAW den Krug.)
Heutzutage nehmen wir keine kapitalistischen Getränke zu uns. Hier, probieren Sie mal.
MR SHAW
Es riecht genau wie Bier.
KEIR-HARDIE
Das ist Ihrer bösen Einbildungskraft geschuldet, möchte man sagen. Für die Reinen sind alle Dinge rein.
MR SHAW
Na, ich hoffe, dass mir wenigstens dieser Ausspruch nicht zugeschrieben wird.
(Trinkt.) Es ist Bier!
KEIR-HARDIE
Schande auf Sie!
MECHANISCHER VORSITZENDER
Meine Herren, sind Sie damit einverstanden, wenn ich das Protokoll jetzt unterzeichne?

F.B.O.
Ruhe! Sie kommen.
MR SHAW setzt sich hastig seine Maske wieder auf. Die Türen öffnen sich und Kameraden strömen auf die Bänke und stolpern und fallen über einander.
MECHANISCHER VORSITZENDER
Ordnung! Ich rufe den Antragssteller des ersten Beschlusses.
Ein Kamerad schließt die Türen. LORD KEIR-HARDIE bewegt sich durch die Gruppe, nickt und schüttelt Hände, und setzt sich auf den Stuhl des Sekretärs.
F.B.O. (Zu MR SHAW)
Setzten Sie sich hier neben mich. (Sie setzen sich ganz hinten auf die Bank beim Rampenlicht. Die Kameraden verteilen sich über die anderen Plätze, manche starren MR SHAW fragend an.)
KEIR-HARDIE (Öffnet das Buch und erhebt sich.)
Da es schon so spät ist, werde ich die Versammlung sofort in der üblichen Weise eröffnen, indem ich zwei Ausschnitte aus den Schriften unseres Erzfeindes vorlese – der endlich erwacht ist, um die Ergebnisse seiner Lehre zu sehen. (Stöhnen.) Der erste ist aus Merrie England und ich habe bereits erfahren, dass er leugnet, dies geschrieben zu haben. (Schande!) Was mich nicht überrascht. (Liest.) „Der praktischer Sozialismus würde das Volk unterrichten. Er würde günstige und saubere Nahrungsmittel bereit halten. (Oh, oh!) Er würde Bildung und Unterhaltung ausweiten und erhöhen. (Ein Lacher.) Und würde Literatur, Wissenschaft und Kunst pflegen. (Blödsinn!) Er würde billige Arbeit und Pfuscherei abschaffen. (Hat er nicht!) Er würde die Armenviertel dem Boden gleich machen und gute und schöne Wohngegenden schaffen. (Wo sind sie?) Er würde alle Menschen dazu bewegen irgend eine Art von nützlicher Arbeit zu verrichten. (Mit Ausnahme der Fabians!) Er würde Frauen und Kinder schützen. (Zischen.) Er würde Gesundheit und Moral auf eine neue Ebene heben.“ (Lautes Stöhnen.)

Der andere Auszug ist aus Mensch und Übermensch 8 – Ich weiß nicht –
MECHANISCHER VORSITZENDER
Redezeit!
KEIR-HARDIE
Ich weiß nicht, ob er auch leugnen wird, das geschrieben zu haben. (Liest.) „Es gibt Grenzen für das, was ein Esel oder Muli ertragen wird-“
MECHANISCHER VORSITZENDER
Redner, bitte nehmen Sie wieder Platz.
KEIR-HARDIE (Entschuldigend zur Attrappe.)
Einen Augenblick bitte. (Liest.) „Aber der Mensch wird es dulden, so weit erniedrigt zu werden bis seine Niederträchtigkeit seinen Unterdrückern so widerwärtig wird, dass sie sich gezwungen sehen, sich zu bessern.“ (Zischen und „Schande!“ KEIR-HARDIE schließt das Buch.) Meine Herren, ich werde Sie nicht herabsetzen, indem ich sie mit dem verhassten Namen Kameraden anspreche – das sind die Gefühle eines Mannes, in dessen Namen Sie von der unerträglichsten Form der Sklaverei unterdrückt werden, die auf Erden jemals gesehen wurde. (Applaus.) Wir haben uns heute Abend hier versammelt –
MECHANISCHER VORSITZENDER
Ordnung! Ordnung!
KEIR-HARDIE (Genervt.)
Ich bin in Ordnung. Ich sage, wir haben uns heute Abend hier in einer Stunde der Krise versammelt. In diesem Augenblick bereiten wir uns vor, uns gegen das ganze verhasste System zu erheben, das fälschlicherweise Sozialismus genannt wird, der Kuss einer Isebel —
MECHANISCHER VORSITZENDER
Unterstützt das jemand?
F.B.O. (Steht auf.)
Ich will das unterstützen, wenn Sie möchten, Exzellenz.
KEIR-HARDIE
Setz dich hin, Dummkopf; Ich bin noch nicht fertig. (F.B.O. gehorcht.) All das ist deine Schuld, weil du zu früh begonnen hast. – Wo war ich stehen geblieben? – Der Kuss einer Isebel hat den Gründer des verfluchten Systems wieder zum Leben erweckt, um die Ketten fester um eure Hälse zu schnüren. (Zischen.) Als eurer Sekretär liegt die Verantwortung bei mir, euch zu beraten, wie wir mit der Situation umgehen. Aber zuerst habe ich eine überraschende Ankündigung für die Versammlung. Mr. Bernard Shaw (Stöhnen), der von der Existenz dieses Bündnisses gehört hat (Hört, Hört!), war so – soll ich sagen, verwegen? – den Wunsch zu äußern, sich unseren Reihen anzuschließen (Oh, oh! Und Gelächter.) Er hat sich an mich gewandt und um Erlaubnis gebeten, hier her zu kommen und vor der Versammlung zu sprechen. (Nein, nein!) Ich habe vorausgesehen, wie Sie diese Bitte aufnehmen würden. Andererseits fand ich, dass wir durch die Genehmigung ihn kommen zu lassen, eine Geisel für unsere eigene Sicherheit festsetzen könnten. (Unterbrechung.) Ordnung, da! Als Ihr Sekretär habe ich die Verantwortung übernommen, ihn hier her zu bringen – (Gemurmel.) – unter meinem Schutz. (Ruhe.) Ich rufe ihn auf, nach vorne zu kommen.
Unter weiterem überraschten Gemurmel setzt sich LORD KEIR-HARDIE hin. MR SHAW kommt nach vorne und steht vor dem leeren Stuhl. Als er seine Maske abnimmt und der Versammlung ins Angesicht schaut, verstummt das Gemurmel allmählich in stiller Verblüffung.
MECHANISCHER VORSITZENDER
Meine Herren, Sie haben den Antrag gehört und den Unterstützer. Diejenigen, die dafür sind, sagen „Ja“ (Eine stille Pause.) – dagegen „Nein“ (Ein lautes, einstimmiges „Nein!“) – Die Mehrheit sagt „Ja“ – Der Antrag ist hiermit angenommen.
Das Grammophon entlädt sich in einem schrillen Quietschen, das Geräusch geht unter in wütenden Nein-Rufen, die Kameraden stehen auf und schütteln ihre Fäuste in die Richtung von MR SHAW. Er blickt sich lächelnd um. KEIR-HARDIE hebt seine Hand, um den Tumult zu beruhigen und bläst schließlich in das Horn. Nach einer Weile kehren die Kameraden zu ihren Sitzen zurück und der Lärm verschallt.
MR SHAW
Kameraden! (Erneuter Krach.)
KEIR-HARDIE (Bläst in das Horn.)
Ordnung! Ordnung!
MR SHAW
Kameraden! (Unterbrechung.)
KEIR-HARDIE (Er steht auf, um zu sprechen.)
Wir empfinden diese Bezeichnung als beleidigend. Wir ziehen es vor, als Herren angesprochen zu werden. (Applaus.)
MR SHAW
Ich stehe hier als Kamerad A 1. (Er wirft seine Robe ab und enthüllt seine Kameraden-Kleidung. Man hört tiefe Atemzüge des Erstaunens, dann ungebrochene Stille.) Meine Kameraden. (Er pausiert und blickt sich um. Niemand wagt zu unterbrechen.) Ich bin hier her gekommen, um einen Hochstapler zu enttarnen. (Oh, oh!) Einer, der euch jahrelang angelogen hat und länger, als ihr euch vorstellt –
STIMMEN
Wer? Name!
MR SHAW
Der sich ausgegeben hat als Befreier vom Kapitalismus, euch aber nur in eine schlimmere Sklaverei hinabgestoßen hat.
STIMMEN (Wütend)
Wer? Wer? Name?
MR SHAW
Der ein Verräter an der Menschheit gewesen ist unter dem Mantel der Freundschaft. (Ständige Unterbrechungen mit dem Ruf „Name“ sind im allgemeinen Lärm hörbar.) Sein Name ist Bernard Shaw. (Plötzliche Stille und nachdem die erste Überraschung nachlässt, schwache Versuche von ironischem Applaus hier und da.)
KEIR-HARDIE (Sich erhebend.)
Ich weiß nicht, ob dies ein schlechter Witz ist –
MR SHAW
Bleiben Sie sitzen, mein Herr. (KEIR-HARDIE gehorcht.) Ihr Sekretär denkt, ich wäre ein Humorist. (Ein spöttisches Lachen.) Das ist eine der Heucheleien, die ich anzuprangern gekommen bin. Ich habe keinen Sinn für Humor. Ich bin einfach ein schadenfroher Miesepeter. (Ungeduldiges Gemurmel.)
KEIR-HARDIE
Bleiben Sie beim Thema. (Applaus.)
MR SHAW
Ich bin das Thema. Das ist eine Versammlung des Anti-Shaw-Bündnisses. (Lauter Applaus.) Ich bin froh, dass ihr mir endlich zustimmt.
EINE STIMME
Das tun wir nicht!
MR SHAW
Worin stimmt ihr nicht zu? Seid ihr nicht gegen Shaw?
KEIR-HARDIE
Sind Sie es?
MR SHAW
Warum hören Sie nicht zu? (Laute Unterbrechung. KEIR-HARDIE bläst in sein Horn, aber es hat keine Wirkung. MR SHAW hebt seine Stimme in einer momentanen Ruhepause.) Habt ihr Angst vor mir? (Totenstille.) Ich gebe mir selbst die Schuld, nicht euch. ich bin verantwortlich für das schreckliche System, das euch eure Menschlichkeit geraubt hat und euch entfremdet hat von der freien Rede. (Stöhnen.) Ihr könnt mich ruhig anstöhnen. Die Frage ist: wie könnt ihr mich loswerden?
KEIR-HARDIE
Bitte sprechen Sie ernsthaft.
MR SHAW (Zur Versammlung.)
Das ist das erste Mal, dass ich überhaupt ernsthaft spreche. Ich war noch nie wach bis heute. Ich war nur ein Träumer und ihr seid mein Traum. Es tut mir schrecklich leid, dass ihr wahr geworden seid. Ich wünschte, ihr wäret nur ein Alptraum. (Zischen.) Aber dieses Zischen warnt mich, dass ihr echt seid.
KEIR-HARDIE
Ich protestiere dagegen. (Hört, hört!)
MR SHAW
Und ich ebenso. Genau das versuche ich gerade, wenn Sie mich lassen. Ich protestiere gegen mich selbst. Ich denke, ich bin ein öffentliches Ärgernis. (Enthusiastischer Applaus.) Ich freue mich, diesen Jubel zu vernehmen. Das ist ein guter Anfang. Aber ihr wisst noch nicht das schlimmste über mich. Ihr denkt, ich bin ein Sozialist. Das ist noch eine Heuchelei. In Wirklichkeit bin ich ein großer Individualist – der größte, der je gelebt hat, meiner Meinung nach. Ich bin ein Apostel der Selbstbehauptung. Es war meine unbegrenzte Eitelkeit, die mich zur Auflehnung gegen das kapitalistische Zeitalter trieb. Es hatte sicher Fehler, ja, aber es war ein Paradies im Vergleich mit dem, was wir jetzt sehen. (Applaus.)
KEIR-HARDIE
Also warum haben Sie den Sozialismus gepredigt?
MR SHAW
Weil ich es nicht besser wusste. Ich habe Ihnen gerade schon gesagt, dass ich ein Miesepeter war. Alle wirklich großen Männer sind Miesepeter. Auf diese Weise erreichen Sie ihre Ziele, indem sie Augen vor den Tatsachen verschließen und Ihre Ohren vor der Vernunft. Das habe ich getan, ich glaubte, dass Menschen rechtwinklige Dreiecke wären. Ich dachte, ein Parlamentsbeschluss kann die Geschichte der menschlichen Rasse rückgängig machen. Ich dachte, wenn Kinder von ihren Müttern gestohlen werden könnten und in Gefängnisse gepfercht, wo sie von Aufsehern gepflegt würden, die nie selbst Kinder hatten, dann würden sie als vollkommene Wesen aufwachsen. Ich dachte, dass ein Beamter, der durch Wettbewerb und Untersuchung gewählt wird, klüger wäre als die Vorsehung. Ich glaubte, dass die Tugend aus einem Kraftwerk geschöpft werden kann, wie Gas und Elektrizität, im Kubikfuß. Ich habe erwartet, dass sich Geiz in Ehrlichkeit verwandeln würde, indem ich Münzen durch Papier-Wertmarken ersetze. Ich hoffte wirklich, dass die Ziele, die das Christentum zweitausend Jahre lang verfehlt hat, durch einige Komitee-Beschlüsse von streitsüchtigen Miesepetern, wie mir selbst, in ein paar Stunden erreicht werden könnten. Und ich war ein Trottel. (Lauter Applaus.) Ich will euren Applaus nicht. Ich will, dass ihr wütend auf mich seid – so wie ich auf euch.
F.B.O. (Bestürzt)
Warum, Meister?
MR SHAW
Weil ihr mich ernst genommen habt.
KEIR-HARDIE
Sie beklagen sich über den Triumph Ihrer eigenen Prinzipien.
MR SHAW
Nun, haben Sie denn vergessen, was ich über den Übermenschen gesagt habe, mit dem ich mich selbst meinte? Ich sagte, dass der Triumph seiner Prinzipien bedeutete, dass diese zum Gewöhnlichen herabgezogen werden würden, da seine Lehre vom Pöbel ebenso angenommen würde, wie die Lehre des Heiligen Johannes von Kannibalen akzeptiert wurde (Gemurmel) oder die Philosophie von Platon von einem Oxford Studenten. (Lauteres Gemurmel.)
F.B.O. (In schmerzlichem Vorwurf.)
Jetzt reicht es aber, Meister! Wir wollen solche Namen nicht!
KEIR-HARDIE (In Aufruhr)
Aber – aber – schauen Sie mal – Wenn Sie nicht wollen, dass Ihre eigenen Prinzipien triumphieren, dann hol mich der Teufel, wenn ich verstehe, was Sie nun wollen!
MR SHAW
Ich kann Ihnen sagen, was wir alle wollen: persönliche Ausgeglichenheit und gesunder Menschenverstand. Können Sie denn nach dieser ganzen Zeit nicht sehen, dass die ganze Kunst und Wissenschaft der Politik und Soziologie darin liegt, die intelligentesten und fähigsten Männer zu finden und ihnen die Zeit wertvoll zu machen, Ihnen ehrenhaft zu dienen? Ihre Politik ist, die Welt von Hirn zu befreien. Was Sie Sozialismus nennen ist nur Gehässigkeit und Neid. (Zeigt auf den mechanischen Vorsitzenden.) Und hier hin hat Sie das gebracht. Da ist das sozialistische Ideal!
KEIR-HARDIE
Es würde sehr gut funktionieren, wenn der Mechanismus etwas vollkommener wäre.
MR SHAW
Meine Güte, können Sie nicht sehen, dass es gar nicht funktioniert? Sie haben diese Versammlung selbst gehalten nicht diese Pfennig-Blechpfeife. Mir scheint langsam, dass die ganze Welt zweihundert Jahre geschlafen hat und ich als einziger erwacht bin.
F.B.O.
Was sollen wir Ihrer Meinung nach tun, Meister?
MR SHAW
Nehmt mich als euren Vorsitzenden.
(Lang anhaltender Applaus, währenddessen setzt sich MR SHAW in den freien Stuhl.)
KEIR-HARDIE (Steht auf)
Ich erhebe mich und rufe zur Ordnung –
MR SHAW (Steht auf)
Sie stören die Ordnung, mein Herr! (Lebhafter Applaus, gefolgt von Zischen und Rufen „Ordnung!“ und “Hinsetzen!“ KEIR-HARDIE gibt verdrießlich nach.) Wir hatten genug Reden; ich will sehen, ob Sie bereit sind, zu handeln.
KEIR-HARDIE
Was schlagen Sie vor? (Rufe „Ordnung!“)
MR SHAW
Ihr nennt euch Anti-Shawisten: wenn ihr es ernst meint, fangen wir damit an, die Shaw-Gedenkhalle nieder zu reißen. (Lauter Applaus, die Kameraden stehen auf und winken mit braunen Kattun-Taschentüchern.)
KEIR-HARDIE
Und was soll das nützen? (Wütendes Zischen.)
F.B.O.
Werft ihn raus!
MR SHAW
Wenn ihr das tut, kann es sein, dass er geht, um die anderen Fabians zu warnen. (Wütendes Stöhnen; die Kameraden schütteln ihre Fäuste in die Richtung von KEIR-HARDIE.) Lasst ihn in Ruhe, er kam unter meinem Schutz hier her! (Scharf) Ordnung! (Der Lärm hört sofort auf.) Sobald wir die Fabians erledigt haben, gehen wir zu den Parlamentsgebäuden und werfen die Frauen raus. (Applaus.) Danach können wir es mit dem Maharajah aufnehmen – (Lauter Applaus) – und mit der Gesundheitsbehörde. (Hörbarer allgemeiner Atemzug, dann Totenstille. Die Kameraden sinken zurück und die hinteren Reihen setzen sich.) Was ist nun mit euch los?
STIMME (der MARKGRÄFIN VON HOLLOWAY draußen)
Hilfe!
Die Kameraden, die am nächsten sind, gehen zu den Türen und öffnen sie. Die Rolltreppe hat aufgehört und nur der untere Teil der MARKGRÄFIN ist sichtbar. Sie steht auf dem nach unten laufenden Band, etwa ein Meter über dem Boden und hält den Handlauf mit einer Hand gefasst, während sie mit der anderen ein Dokument hält, das teils gedruckt und teils geschrieben ist.
F.B.O. (Er kommt und steht in der Türe zu ihr gewandt.)
Springen Sie und ich fange Sie.
MARKGRÄFIN (Ängstlich)
Glauben Sie, dass Sie stark genug sind?
F.B.O.
Haltet mir den Rücken, Kumpels. (Einige Kameraden formen einen Keil hinter ihm.) Jetzt!
Die Rolltreppe fängt ruckartig wieder an und führt dazu, dass die MARKGRÄFIN durch die Luft springt in die Arme von F.B.O., der rückwärts fällt und alle Kameraden mit auf den Boden schleudert. Die MARKGRÄFIN stolpert, aber richtet sich gleich wieder auf, immer noch hält sie das Dokument fest in der Hand.
KEIR-HARDIE (Kommt zu ihrer Hilfe)
Markgräfin! Was führt Sie hier her? (Er schließt die Türen.)
MARKGRÄFIN
Ich suche meinen Ehemann. (MR SHAW schnappt sich seinen Umhang und versucht, ihn anzuziehen.) Ah, ich habe ihn gefunden! Schauen Sie! (Hält das Dokument vor sich hin.)
MR SHAW (Ärgerlich)
Nun, was ist das?
MARKGRÄFIN (Mit liebendem Triumph)
Unsere Heiratsurkunde!
MR SHAW
Barmherziger Himmel! Aber wir können doch nicht jetzt schon verheiratet sein.
MARKGRÄFIN
Doch, das sind wir. Ich habe Sie soeben per Bevollmächtigung der Ehebehörde geheiratet. (In einer Stimme von träumerischer Verzückung streckt sie ihre Arme aus.) Sie sind mein – für vierzehn Tage! (MR SHAW weicht bestürzt zurück.)
Die Türen öffnen sich wieder und LADY WELLS stolpert auf die Bühne und hält ein ähnliches Dokument. F.B.O. schließt die Türe und bleibt in der Nähe davon stehen.
LADY WELLS
Ist er hier?
MR SHAW
Noch eine! Das ist Bigamie!
LADY WELLS (Sieht ihn und geht auf ihn zu.)
Mein griechischer Gott!
MR SHAW
Das macht mir nichts aus, Ihr griechischer Gott zu sein. Ich hatte Angst, Sie nennen mich Ihren Ehemann.
LADY WELLS
Das ist die grobe, weltliche Art es auszudrücken. Sehen Sie nur! (Sie hält ihm das Dokument entgegen.) Die Urkunde des Paradieses!
MR SHAW
Gute Frau, Sie versetzen mich in Erstaunen. Begreifen Sie, dass Sie mit einem verheirateten Mann sprechen? Diese Dame hat mir soeben gesagt, dass ich ihr gehöre – für vierzehn Tage.
LADY WELLS (frohlockend)
Und mein sind Sie für die folgenden vierzehn Tage.
MR SHAW
Oh! (Bricht zusammen.) Ich scheine eine Art Erbanwartschaft zu sein.
Draußen hört man diskutierende Stimmen. Die Türen öffnen sich und die STÄNDIGE DIENERIN kommt herein und zieht die PREMIERMINISTERIN an einer Hand nach sich und hält in der anderen ein kleines Bündel Papiere. F.B.O. schließt die Türen.
Da kommen die restlichen Vermächtnisnehmer!
DIENERIN (Im Ton einer Kindergärtnerin zu einem quengeligen Kind.)
Nun kommen Sie schon. Der Herr wird Sie nicht beißen.
MR SHAW
Nun aber, ich kann nicht an einer Verschleppung teilnehmen.
DIENERIN (In ihrer offiziellen Stimme.)
Ich habe die Ehre zu verkünden, dass Ihre Hoheit Ihnen die Hand im ehelichen Bunde gereicht hat, im Amt der Ehebehörde.
MR SHAW
Die Behörde scheint mit Hochdruck zu arbeiten. Sie werden mehr Mitarbeiter anstellen müssen. PREMIERMINISTERIN (Blickt verzweifelt um sich.)
Aber das ist der Falsche.
MR SHAW
Ach so, ein kleiner Fehler. Das kann unterlaufen bei der Betriebsamkeit im Amt. Zweifellos kann das schnell richtig gestellt werden.
DIENERIN
Das ist kein Fehler, mein Herr. (Hält ihm die Papiere entgegen.) Das ist die Heiratsurkunde. Sie wird in einem Monat gültig.
MR SHAW
Ich werde mir das Datum vormerken, aber ich habe viele andere Verpflichtungen. Am besten, Sie schreiben mir eine Postkarte, um mich daran zu erinnern.
PREMIERMINISTERIN
Aber du hast mir versprochen, dass ich den anderen Herren haben soll.
DIENERIN
Das geht in Ordnung: das dürfen Sie zwei Wochen später.
MR SHAW
Wir können auch eine Woche daraus machen. Ich komme Damen sehr gerne entgegen.
PREMIERMINISTERIN (Nach einem längeren Blick auf MR SHAW)
Ich kann den nicht ausstehen.
MR SHAW
Also, zu Zeiten des Kapitalismus war es üblich solche Beobachtungen aufzuheben, bis die Flitterwochen vorbei waren. Ich fürchte, ich muss bei der Ehebehörde die Scheidung einreichen.
DIENERIN (Überrascht)
Scheidung!
MARKGRÄFIN (Bis in die Tiefe ihrer Natur getroffen)
Scheidung!
LADY WELLS
Wir haben keine Scheidung im Sozialen Commonwealth. Bei uns ist die Ehe eine heilige Verpflichtung.
MR SHAW
Aber sie scheint in Raten bezahlt zu werden. (Lärm draußen.) Was, ist die Behörde immer noch nicht fertig?
LORD BLATCHFORD wird mit Schwung auf die Bühne geschleudert. Diesmal hält die Rolltreppe an und die Türen bleiben offen. MR SHAW sieht erleichtert aus.
Ich sehe, das ist diesmal nur ein Fall von Adoption.
BLATCHFORD
Sie meinen wohl, ein Fall von betrügerischem Auftreten. Sie sind ein Hochstapler, mein Herr!
MR SHAW
Natürlich! Eben das wollte ich behaupten.
BLATCHFORD
Ich glaube, Sie sind ebenso wenig Bernard Shaw wie ich.
MR SHAW
Guter Mann! Habe ich dadurch die Befugnis meine Ehe annullieren zu lassen, alle meine Ehen?
MARKGRÄFIN (Im Ton starker Autorität)
Nein!
PREMIERMINISTERIN
Oh, das hoffe ich!
LADY WELLS
Nicht in meinem Fall. Ich liebe Sie um Ihrer selbst willen, es ist eine reine Seelenliebe!
BLATCHFORD
Sie haben diese vertrauensseligen Frauen ausgenützt, um in der ersten Nacht einen Harem aufzumachen, das verschlimmert Ihren Fall um ein Zehnfaches. Ich wundere mich nur, dass Sie nicht behaupten Blaubart zu sein. Diese Rolle muss ihnen vertraut sein.
KEIR-HARDIE
Haben Sie etwas entdeckt?
BLATCHFORD
Ich habe entdeckt, dass der echte Bernard Shaw wegen Hochverrat geköpft wurde unter der Herrschaft des Königs „Coel der Alte“.
PREMIERMINISTERIN (Klatscht in die Hände.)
Ich bin froh.
BLATCHFORD
Glücklicherweise wurde die Sache aus unseren Händen genommen. Dieser Hochstapler wurde der Gesundheitsbehörde gemeldet. (Die Kameraden sehen einander besorgt an.)
LADY WELLS (Sie fasst MR SHAWs Arm und hängt sich an ihn)
Oh, fliehen Sie! Fliehen Sie augenblicklich!
MR SHAW
Wie kann ich fliehen, wenn Sie mich festhalten?
BLATCHFORD
Es ist umsonst. Die Krankenpfleger sind schon draußen.
(Das elektrische Licht geht aus und lässt die Bühne im Dunkeln.)
MR SHAW
Wer hat das gemacht? Schaltet das Licht wieder an!
F.B.O.
Wir können nicht.
LADY WELLS
Es wurde von der Bezirksversorgung abgeschaltet. Sie schalten jeden Abend um neun Uhr aus.
MR SHAW
Das ist wie Abendessen nach dem Theater.
LADY WELLS
Zu spät!
Die Rolltreppen bewegen sich wieder. Einige Krankenschwestern mit elektrischen Taschenlampen kommen herein und stellen sich um die Tür. Der Bezirksarzt und zwei Bezirksapotheker folgen ihnen, alle drei sind gekleidet wie Inquisitoren in schwarzen Gewändern mit spitzen Kapuzen. LADY WELLS bleibt bei MR SHAW; die anderen schrecken zurück.
ARZT (Zu BLATCHFORD)
Welcher ist der Fall? (BLATCHFORD zeigt auf MR SHAW.)
MR SHAW
Wer sind Sie? Einer meiner Schwiegerväter?
ARZT
Ich bin der Bezirksarzt.
MR SHAW
Sie kommen zu früh. Am besten melden Sie sich nochmals in neun Monaten.
ARZT
Sie sind mein Patient. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass alles was Sie jetzt sagen, in Ihre Krankenakte aufgenommen wird. (Der erste APOTHEKER holt ein Notizbuch heraus.) Sie stehen unter Verdacht von Gehirnanomalie. (Stöhnen der Kameraden.) Lassen Sie mich Ihren Puls fühlen.
MR SHAW
Fassen Sie mich lieber nicht an, ich weiß zwar nicht, was ich habe, aber es könnte ansteckend sein.
ARZT (Zu den APOTHEKERN, in einer ruhigen Stimme, wie bei Bettlägrigen)
Symptome nervöser Reizbarkeit, begleitet von einer krankhaften Abneigung gegen ärztliche Behandlung. (Die APOTHEKER schreiben. Zu MR SHAW) Haben Sie manchmal ein Druckgefühl in den Vorderlappen des Okziputs?
LADY WELLS
Sie haben das Recht, Ihre Symptome für sich zu behalten. Antworten Sie nicht!
MR SHAW
Das werde ich nicht. (Zum ARZT) Ich bedauere, Ihnen mitteilen zu müssen, dass ich kein Anrecht auf Ihre freundliche Behandlung habe. Ich habe mich soeben erinnert, dass ich letzten Montag meine Briefmarke nicht aufgeklebt habe.
LADY WELLS
Gerettet! Er ist nicht versichert!
ARZT
Vereitelt! (Ungehalten zu BLATCHFORD) Sie haben mich umsonst hier her bestellt.
BLATCHFORD (Nobel)
Ich werde seine drei Pence bezahlen. (Holt den Betrag heraus.)
ARZT
Das ist wirklich sehr informell, aber unter den Umständen – (Nimmt die drei Pence. Zu MR SHAW) – Wann waren Sie zum letzten Mal beim Arzt?
MR SHAW
Ich glaube, etwa vor zweihundert Jahren.
ARZT (Schüttelt ernsthaft seinen Kopf)
Es ist selten klug, so lange zu warten. Wo ist Ihre ärztliche Urkunde?
MR SHAW
Ich habe keine, aber kann Ihnen drei Heiratsurkunden anbieten.
ARZT
Das reicht. (Nickt dem APOTHEKER zu, der sein Notizbuch heraufholt.) Der Patient hat zugegeben, dass er im Ganzen ohne ärztliche Bewilligung gewesen ist. (Zu MR SHAW) Betrachten Sie sich selbst als invalidiert.
LADY WELLS
Oh, verschont ihn!
MR SHAW (Zum ARZT)
Ich betrachte Sie als Idioten.
ARZT (Nickt zufrieden)
Das untrügliche Symptom! Er stellt die geistige Gesundheit des Arztes in Frage. (Zu den Krankenschwestern) Nehmt ihn zum Krankenwagen mit. (Die Krankenschwestern nähern sich.)
MR SHAW
Hände weg!
ARZT
Wenn der Patient zänkisch ist, gebt ihm die hygienische Weste.
MR SHAW (Ruft)
Kameraden! (Sie regen sich nicht.) Gibt es keine Männer unter euch? (F.B.O. und einige andere kommen halbherzig nach vorne.)
ARZT
Ergreift hygienische Vorsichtsmaßnahmen! (Die APOTHEKER holen plötzlich kleine Glasbomben heraus, die wie kleine elektrische Lampen sind, sie halten diese hoch und sind bereit zu werfen. Die Möchtegern-Retter ziehen sich in die Gruppe zurück und geben Schreckensschreie von sich.)
LADY WELLS (Nimmt MR SHAWs Arm)
Oh, seinen Sie vorsichtig! Ein Tropfen ist tödlich.
MR SHAW
Was, werfen diese Unmenschen Vitriol?
LADY WELLS
Noch schlimmer – es ist das Desinfektionsmittel!
KEIR-HARDIE
Nun, tun Sie nicht so, als hätten Sie auch das vergessen. Durch dieses Mittel haben Ihre Anhänger das Soziale Commonwealth errichtet.
MR SHAW
Haben sie das? (Er lässt seine Arme fallen) Legt die Zwangsjacke an.
ZWISCHENAKTVORHANG
DRITTER AKT-Kabinett des Vizekönigs
Die Szene spielt im Kabinett seiner Vize-Majestät Maharajah Sri Singh Mahindar Adhiraj Ranjisinghji Bahadur, K.G., Vizekönig von England. In der hinteren Wand, aber auf der linken Seite vom Publikum aus (zum Zwecke der Vielfalt) gibt es eine Balkontüre, von außen durch ein Flugzeug erreichbar. In der rechten Wand hinten ist eine Tür. An der Wand, auf welcher Seite für den Bühnengestalter geeigneter erscheint ist eine Uhr, die etwa halb zwölf (vormittags) zeigt. An der hinteren Wand rechts vom Fenster hängt eine große Weltkarte in der Mercator-Projektion, die den Zuschauer daran erinnert, wohin das Britische Imperium durch den Sozialismus gekommen ist. Indien und England sind im vertrauten rot dargestellt; Irland, Schottland und Wales, die sich zur keltischen Republik vereinigt haben, sind grün; Australien ist gelb, Südafrika ist schwarz und Kanada ist gestreift pink und weiß, da sie die Flagge der USA übernommen haben. Der Rest der Karte ist farblos. An der rechten Wand zwischen dem Rampenlicht und der Tür steht ein Sockel mit einem schauerlichen Hindugott mit drei Köpfen und zahlreichen Armen, um gedankenlosen Bischöfen im Parkett vor Augen zu führen, dass unser christliches Land nun unter die Herrschaft eines Götzendieners gefallen ist.

Das wichtigste Eigentum ist ein flacher Schreibtisch, ungefähr zwei mal ein Meter, mit einem Lehnstuhl. Der Tisch steht längs zum Publikum und an dessen Ende in der Nähe vom Rampenlicht ist ein auffälliger weißer Knopf, unter dem Rand des Tisches fixiert, sodass er in der Reichweite der rechten Hand des VIZEKÖNIGS ist, wenn er am Tisch sitzt, während er außerhalb der Sichtweite von Besuchern ist. Auf dem Tisch befinden sich eine rote Handglocke und übliches Schreibmaterial. Gegenüber des Schreibtisches, also etwa in die Mitte der Bühne reichend, ist noch ein Lehnstuhl, der am Boden befestigt ist. Etwa sechs andere Stühle der teuren und unbequemen Art, die normalerweise in Regierungsstellen zu finden sind, sind um die Wand herum arrangiert. Der Rest der Möbel und Ausstattung sind prunkvoll, aber barbarisch, nach dem Geschmack eines asiatischen Despoten.
Sobald sich der Vorhang hebt, kommt der MUNSHI durch die Tür herein, die sich hinter ihm schließt. Er trägt den vertrauten offiziellen flachen Korb, der etwa 60 cm hochgestapelt mit wichtig aussehenden Dokumenten und setzt diesen auf den Tisch nieder am Ende in der Nähe des Fensters.

MUNSHI
Der Maharajah ist wieder spät dran. (Er wirft einen Blick auf die Uhr.) Mehr als halb zwölf ist es. (Schüttelt den Kopf.) War letzte Nacht wohl wieder auf, wie immer, schätze ich. Diese englischen Huris sind unglaublich verkommen. (Geht zum Fenster und blickt hinaus.) Ah, da ist sein Flugzeug.
Der MUNSHI öffnet das Fenster und grüßt mit einem Salaam. Das Flugzeug hält draußen an und der VIZEKÖNIG strahlt und tritt durch die Balkontüre. Er ist in großartigen Roben gekleidet mit einem juwelengeschmückten Turban; er trägt Halsbänder und Ohrringe; aber er macht einen ausschweifenden Eindruck und wagt nicht, einen Segen vom Büro-Götzen zu erbitten. Der MUNSHI legt sich ihm zu Füßen.
VIZEKÖNIG
Lebe weiter!
MUNSHI (Erhebt sich.)
Heil dem Adler der Geschwindigkeit!
VIZEKÖNIG (Geht zum Tisch und macht eine übellaunige Miene über die Papiere.)
Was ist das für ein Müll?
MUNSHI
Gnadenreicher Gesetzgeber, das sind Parlamentsbeschlüsse von gestern, die Ihrer huldreichen Zustimmung harren.
VIZEKÖNIG (Setzt sich schwer hin.)
Diese Eingeborenen müssen wahnsinnig sein. Die Gesetze von Indien haben sich seit der Zeit Manus nicht geändert. Gibt es etwas, was ich wissen sollte?
MUNSHI (Er nimmt ein Memorandum oben vom Stapel und blickt darauf.)
Das ist ein Beschluss, der die Haarlänge der Kameraden auf vier Zentimeter festlegt, oh rauhaarige Majestät.
VIZEKÖNIG
Aber ich dachte, ich habe erst letzte Woche einen Beschluss darüber genehmigt.
MUNSHI
Wunder des Erinnerungsvermögens, der Beschluss von letzter Woche legte sie auf drei und halb Zentimeter fest. Davor waren es nur drei Zentimeter.
VIZEKÖNIG
Lästige Dummköpfe! (Nimmt das Gesetz und unterschreibt es.)
MUNSHI
Die letzte Nachwahl wurde durch die Stimmen der Frisöre gewonnen und sie wollen weniger arbeiten, eure beschäftigte Majestät.
VIZEKÖNIG
Na, geht mir auch so. (Nimmt sich das nächste Gesetz.) Und worum geht es hier?
MUNSHI
Das ist der Beschluss über die Codifizierung der Golfgesetzte für die Zusatzbestimmungen, eure Vize-Majestät.
VIZEKÖNIG
Was? Ich kann nicht zulassen, dass sich jemand in mein Golfspiel einmischt. Was wollen sie denn nun?
MUNSHI
Der neue Sportminister ist ein Mitglied der Caddie-Gewerkschaft, oh Golfschläger des Universums. Das Gesetz sieht vor, dass alle Spieler ihre eigenen Schläger tragen müssen und ihre eigenen Bälle einsammeln.
VIZEKÖNIG
Und was in Himmels Namen sollen dann die Caddies machen?
MUNSHI
Sie sollen sich der Sprache bedienen, oh eloquente Majestät.
VIZEKÖNIG
Ich wünschte, ich hätte einen von ihnen hier. (Zerreißt das Gesetz und wirft es in den Mülleimer.) Noch mehr Streiche in die Richtung?
MUNSHI
Die Arbeitsstunden der Rolltreppenbetreiber wurden auf drei reduziert durch einen Beschluss einer Sondersitzung.
VIZEKÖNIG
Und weshalb?
MUNSHI
Als das Parlament die Sitzung darüber vertagt hatte, wollten die Betreiber die Rolltreppe nicht bedienen, die von den Mitgliedern verwendet wird, um das Gebäude zu verlassen, eure wissbegierige Majestät. Also mussten sie zurück gehen und das Gesetz beschließen, um nach Hause zu gehen.
VIZEKÖNIG (Unterschreibt)
Es wäre wünschenswert, wenn die Betreiber sie nächstes Mal erst gar nicht ins Parlament lassen würden. Ist das alles?
MUNSHI
Alles, was die Tulpe des gesunden Menschenverstandes interessieren kann. Es gibt noch die üblichen Verbesserungen in der Grammatik des Esperanto.
VIZEKÖNIG (Unterschreibt die Gesetze zügig nacheinander.)
Irgendwelche Änderungen im Staatshaushalt heute?
MUNSHI (Holt die Schätzungen heraus.)
Die Minister haben Ihre Diäten um zwanzig Jahre erhöht.
VIZEKÖNIG (Hört auf zu unterschreiben.)
Hör auf mit dem sozialistischen Quatsch, wie viel ist das in Rupien?
MUNSHI
Oh, schneller Rechner, es sind zehntausend.
VIZEKÖNIG
Mal sehen, meine Kommission darauf ist hunderttausend, richtig?
MUNSHI (Verneigt sich.)
Wenn eure Vize-Majestät gütigerweise die Schätzungen bewilligt.
VIZEKÖNIG
Ahem! Reiche sie mir – keiner kann mir nachsagen, ich wäre ein Tyrann. (Unterschreibt mit einem liebenswürdigen Gesichtsausdruck.) Übrigens, was ist das für eine Aufregung unter den Eingeborenen?
MUNSHI
So weit ich es verstehe, rühren die Probleme von einem Gott her, frommer Herr.
VIZEKÖNIG
Gute Güte, ich hoffe, wir werden nicht wieder religiöse Ausschreitungen haben. Ist das der mit dem Pferdekopf, der Orakel von sich gibt?
MUNSHI
Nein, Patron des Pferderennsports –
VIZEKÖNIG
Denn das letzte Mal hat er für die Derby auf das falsche Pferd getippt und seine Priester wurden fast gelyncht.
MUNSHI (Mit Gefühl)
Sie haben es verdient, oh Spiegel der Gerechtigkeit. Ich habe meinen Turban auf das Tier gewettet. Aber dies ist das Idol der Fabians.
VIZEKÖNIG
Und? Was stimmt nicht mit ihm?
MUNSHI
Sie erzählen, er ist gerade aufgewacht, nachdem er zweihundert Jahre geschlafen hat.
VIZEKÖNIG
Dann würde ich meinen, es ist an der Zeit, dass er aufgewacht ist.
MUNSHI (Verschluckt sich fast vor Lachen)
Oh Elefant des Witzes, Sie werden noch mein Tod sein!
VIZEKÖNIG (Zufrieden über seine Bemühung)
Ja, ich bilde mir selbst ein, dass der recht nett war. Möchtest du ihn nochmals hören?
MUNSHI (Wird ernst)
Ihr Sklave ist nicht so viel Ehre wert; aber die Fabians warten und sie werden ganz sicher entzückt sein.
VIZEKÖNIG (Gibt die Idee einer Encore nur zögerlich auf)
Was wollen sie?
MUNSHI
Sie bitten eure Majestät um eine Audienz aufgrund von dringendem öffentlichen Interesse.
VIZEKÖNIG
Ahem! Hast du ihnen gesagt, dass heute mein Geburtstag ist?
MUNSHI
Das habe ich ihnen schon letzten Monat gesagt, oh Alterloser. Dieses Mal habe ich gesagt, dass es der Geburtstag Ihres hochwohlgeborenen Zwillingsbruders ist. Sie hoffen aber, dass Sie in Erwägung ziehen eine Gabe von einigen Rupien für ihn anzunehmen.
VIZEKÖNIG
Wie viel ist es denn?
MUNSHI
Oh, Magnet der Nebeneinnahmen, es ist ein Lakh.
VIZEKÖNIG
Ah! Sie müssen mich dringend sehen wollen, wenn sie so viel anbieten. Sag ihnen, dass ich zwei Zwillingsbrüder habe.
MUNSHI
Ich werde den obersten Begum darüber in Kenntnis setzen, unvergleichlicher Geschäftsmann. (Geht hinaus.)
VIZEKÖNIG (Geht weiter seiner Arbeit nach, Gesetze zu unterschreiben, ohne sie zu lesen.)
Das wird Florries Diamanten bezahlen. – Ich brauche wirklich einen Gummistempel.
Der MUNSHI führt die MARKGRÄFIN von Holloway, LADY WELLS und die LORDS BLATCHFORD und KEIR-HARDIE herein.
MUNSHI
Ihre Exzellenzen, die hereditären Fabians. (Alle grüßen den VIZEKÖNIG mit einem Salaam, der herablassend nickt.)
VIZEKÖNIG
Sie mögen sich setzen. (Der MUNSHI verbeugt sich zur MARKGRÄFIN und deutet auf den fixierten Stuhl und bringt die drei anderen vor. Die Fabians sitzen in einer Reihe und drehen sich so, dass sie dem VIZEKÖNIG und dem Publikum gegenüber sind.)
MARKGRÄFIN
Wir hoffen sehr, dass Ihre Majestät dieses Gespräch vertraulich behandeln werden.
VIZEKÖNIG (Gibt dem MUNSHI einen Wink und spricht in sein Ohr.)
Hast du das Geld?
MUNSHI (Spricht in das Ohr des H.V.M.)
Sie wollten es mir nicht anvertrauen.
VIZEKÖNIG (Laut.)
Dann hinaus mit dir.
Der MUNSHI geht hinaus.
MARKGRÄFIN
Wir waren sehr erfreut, von diesem glücklichen Geburtstag in Ihrer hochwohlgeborenen Familie zu hören. Wir hoffen, es wirkt nicht anmaßend, wenn wir Sie bitten ein Zeichen unserer Ergebenheit anzunehmen, zu Ehren Ihres – (Hält inne und blickt BLATCHFORD hilfesuchend an.)
BLATCHFORD
Bruders.
VIZEKÖNIG (Scharf)
Brüder.
MARKGRÄFIN
Vielen Dank, Ihrer erlauchten Brüder. (Der VIZEKÖNIG verneigt sich gnädig.)
BLATCHFORD
Wenn Sie mir die Ehre zuteil werden lassen. (Legt einen versiegelten Umschlag auf den Tisch.)
MARKGRÄFIN
Wir sind in einer sehr ernsten Angelegenheit gekommen –
VIZEKÖNIG (Hat nach dem Umschlag gegriffen und reißt ihn auf.)
Warten Sie: ich habe noch nicht gezählt. (Er holt ein Bündel Scheine heraus, prüft die Menge, die Fabians beobachten ihn ängstlich; er nickt zufrieden und lehnt sich in seinem Stuhl zurück.) Im Namen meiner Brüder dürfen Sie über mich verfügen, Exzellenzen. Sprechen Sie weiter.
MARKGRÄFIN
Gestern um diese Uhrzeit ist Kamerad A1, auch bekannt als Bernard Shaw, erwacht.
VIZEKÖNIG
Ist das Ihr Idol?
MARKGRÄFIN
Wir verehrten ihn als Idol. Wir glaubten, er wäre der Gründer unseres Ordens und der Held der sozialen Revolution.
VIZEKÖNIG (Will auf eine Wiederholung seines erfolgreichen Scherzes hinführen.)
Wie lang hat er denn geschlafen?
MARKGRÄFIN
Über zweihundert Jahre.
VIZEKÖNIG
Dann meine ich, war es an der Zeit, dass er aufgewacht ist. (Er kichert. Die Fabians zeigen Enttäuschung und Bedrängnis, da es für sie keine lächerliche Angelegenheit ist.)
MARKGRÄFIN
Ich bedaure, dass Ihre Majestät das so auffasst.
VIZEKÖNIG (übelnehmerisch)
Meine Bemerkung war als ein Beispiel leichter und eleganter Neckerei gemeint. Mein Munshi fand sie ausgezeichnet.
FABIANS (ensemble)
Natürlich! Wie witzig! Und dumm von uns! (Sie lachen unterwürfig.)
VIZEKÖNIG (besänftigt)
Ich sehe, Ihre Bildung reicht nicht in den futuristischen Humor. Mein Munshi ist fast auf dem Boden gerollt vor Lachen.
MARKGRÄFIN (nervös)
Lord Keir-Hardie ist ein Mittelgewicht Tango Meister. Vielleicht wird er rollen. (KEIR-HARDIE zeigt Unbehaglichkeit.)
VIZEKÖNIG
Ich werde Sie für dieses Mal entschuldigen. Mir ist es lieber, wenn die Fröhlichkeit, die durch meinen Humor ausgelöst wird, sich spontaner zeigt. Wenn ich diesen Scherz erneut mache, hoffe ich, dass Sie flinker im Geiste sind.
MARKGRÄFIN
Vielleicht könnte Ihre Vize-Majestät vorher die Glocke läuten.
VIZEKÖNIG (Streng)
Das sollte wohl nicht nötig sein.
KEIR-HARDIE
Leider sind wir tatsächlich aus der Übung gekommen. Unter Ihrem Vorgänger gab es einen Parlamentsbeschluss, der Scherze mit vierzig Schilling Strafe belegt.
VIZEKÖNIG
Ich werde diesen Beschluss aufheben. Aber Sie haben mir nicht gesagt, wie der Gott erwacht ist.
MARKGRÄFIN
Ich schäme mich, es zu erzählen. Es war das eigenmächtige Verhalten von Lady Wells.
VIZEKÖNIG (Er wendet sich an Lady Wells mit einem Lächeln, das man als maskulin bezeichnen kann.) Und was haben Sie getan?
LADY WELLS (Senkt ihren Blick auf eine Weise, die man als feminin bezeichnen kann.) Ich habe ihn nur geküsst.

BLATCHFORD
Sie sagten – „Wenn doch der Meister für vierundzwanzig Stunden erwachen könnte.“ Ich habe Sie gehört.
VIZEKÖNIG (Er bekommt einen verliebten Ton, der auf die anderen Fabians unangenehm wirkt, aber auf LADY WELLS viel weniger anstößig wirkt.) Tiefschlafender Glückspilz! Ich muss verkünden, dass ich mich selbst nur halb wach fühle!
MARKGRÄFIN (ernst)
Ihre Vize-Majestät ist sich nicht im klaren darüber, dass der Gegenstand dieses Fehlverhaltens nun mein Ehemann ist.
VIZEKÖNIG
Nein, tatsächlich? Das verändert die Lage natürlich. Ich ziehe meine Bemerkung zurück.
LADY WELLS
Und mir wird er heute in vierzehn Tagen gehören.
MARKGRÄFIN (bedeutungsvoll)
Wenn er dann noch lebt.
VIZEKÖNIG (mit LADY WELLS liebäugelnd)
Ah, wenn das so ist, muss es um jeden Preis verhindert werden.
MARKGRÄFIN
Ich bin froh, Sie so sprechen zu hören. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die gedankenlose Handlung von Lady Wells, nun sehr ernste Konsequenzen nach sich ziehen könnte. Die Stimmung unter den Kameraden gärt.
VIZEKÖNIG (Der die Frage weiterhin so behandelt, als wäre sie hauptsächlich zwischen ihm und Lady Wells.) Zweifellos hat es Neid hervorgerufen!
BLATCHFORD (ungeduldig)
Ein Bürgerkrieg droht deswegen auszubrechen.
VIZEKÖNIG
Ah, es gibt also bereits einen Rivalen!
MARKGRÄFIN (wirklich wütend)
Ihre Vize-Majestät beliebt, es als Scherz zu behandeln.
VIZEKÖNIG (immer noch mit festem Blick auf LADY WELLS)
Und als ganz entzückenden sogar. Ich wünschte, er wäre auf meine Kosten gemacht worden.
BLATCHFORD
Ich hoffe nur, dass die Rebellion nicht stattfindet.
VIZEKÖNIG (endlich leicht interessiert)
Wer rebelliert?
BLATCHFORD
Bernard Shaw, wie er sich nennt – der Mann, der erwacht ist.
VIZEKÖNIG (Fällt zurück in die Frivolität)
Undankbarer Wicht! Hat er den Verstand verloren?
BLATCHFORD
Genau unsere Rede. Er wurde letzte Nacht auf Verdacht invalidiert und jetzt ist er im Bezirkskrankenhaus.
VIZEKÖNIG
Das erklärt es. (Schüttelt seinen Kopf in die Richtung von LADY WELLS.) Aber was für eine traurige Verschwendung!
KEIR-HARDIE
Sie scheinen den Ernst der Lage nicht zu erfassen. Zweihundert Jahre lang wurde dieser Mann von den Kameraden als Halbgott verehrt. Sie blicken zu ihm auf als den Gründer des gegenwärtigen Systems, des Social Commonwealth.
VIZEKÖNIG
Ich denke, dass sie damit Recht haben müssen, nach allem, was Sie mir erzählen. Sie hatten Recht damit, ihn zu invalidieren.
KEIR-HARDIE
Aber letzte Nacht, kurz vor seiner Verhaftung, setzte er sich an die Spitze des Anti-Shaw- Bündnisses, eine Organisation, die darauf abzielt, seine Arbeit rückgängig zu machen.
VIZEKÖNIG
Nun, ich kann sehen, dass jedenfalls er einen Sinn für Humor hat.
KEIR-HARDIE
Er versicherte der Versammlung von letzter Nacht, dass er keinen hätte und beschrieb sich selbst als schadenfroher Miesepeter.
VIZEKÖNIG
Und nach all dem, haben Sie ihn der Geistesschwäche bezichtigt! Mir scheint, sie haben den falschen Mann invalidiert.
MARKGRÄFIN (mit Gefühl)
Es war eine traurige Notwendigkeit. Eine Ehefrau kann das am besten beurteilen. Ich war gezwungen anzuerkennen, dass es gefährlich gewesen wäre, meinen Ehemann auf sich alleine gestellt zu lassen. Er stand kurz davor seine Anhänger dazu anzuführen, die Fabian Siedlung niederzureißen.
VIZEKÖNIG
Oh! Ich sehe, Sie meinen es ehrlich, wenn Sie ihn für verrückt halten.
BLATCHFORD
Und danach wollte er die Parlamentsgebäude stürmen.
VIZEKÖNIG
Aber er muss der vernünftigste Mann von England sein!
KEIR-HARDIE (gehässig)
Und als nächstes sagte er, müsse man den Maharajah in Angriff nehmen.
VIZEKÖNIG (Er springt auf seine Füße, sein ganzes Wesen wird von einer Änderung erfasst)
Was? Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt? Der Mann muss ein gefährlicher Wahnsinniger sein. Dies ist eine sehr ernste Angelegenheit. Sind Sie sicher, dass er nicht aus dem Krankenhaus fliehen kann?
MARKGRÄFIN
Das ist der Grund, weshalb wir Sie aufsuchen. Im Moment ist er in Sicherheit, aber unter den Kameraden ist die Stimmung sehr für ihn aufgeladen und wir haben Angst, dass das Krankenhaus jeden Moment gestürmt werden könnte, um ihn zu retten.
VIZEKÖNIG
Wir müssen uns unverzüglich darum kümmern. Ich muss die Friedensflugzeuge einsetzen.
LADY WELLS
Warum rufen Sie nicht ihn selbst?
VIZEKÖNIG (zitternd)
Einen gewalttätigen Wahnsinnigen, der mich in Angriff nehmen will?
MARKGRÄFIN
Ich denke nicht, dass Sie ihn gefährlich finden werden. Diese Herren werden Ihnen bestätigen, dass sich der Marquis gestern ruhig genug gezeigt hat, als er mit uns alleine war.
VIZEKÖNIG (etwas beruhigt)
Oh, Sie haben mir nicht gesagt, dass er ein Marquis ist, das macht natürlich schon einen Unterschied. (Setzt sich.)
MARKGRÄFIN
Er ist der Marquis von Holloway durch Heirat. Ich kann Ihnen versichern, dass mein lieber Ehemann privat nicht gewalttätig ist. Eine Frau weiß dies so gut. Wir sind alle der Ansicht, es wäre die klügste Herangehensweise für Sie, wenn Sie sich ihm auf inoffiziellem Weg widmen.
BLATCHFORD
Es würde großen Schaden an Privateigentum verursachen, wenn die Friedensflugzeuge gegen die Kameraden in den Straßen eingesetzt würden.
LADY WELLS
Abgesehen davon, dass die Ärmsten getötet würden.
VIZEKÖNIG
Es könnte aber auch zweckführend sein, die Anti-Shawisten auszulöschen.
KEIR-HARDIE (ängstlich)
Die Anti-Shawisten wären ohne Shaw nicht gefährlich. Sie haben noch nie Probleme gemacht.
VIZEKÖNIG
Nun gut. (Klingelt. Die Fabians sitzen aufmerksam aufrecht und fangen an in Vorfreude zu lächeln.) Ich werde nach ihm schicken. (Die Fabians lachen ausgelassen.) Worüber in Gottes Namen lachen Sie?
MARKGRÄFIN (bändigt ihre Heiterkeit)
Ihre Vize-Majestät haben die Glocke geläutet.
VIZEKÖNIG
Sind Sie geistig zurückgeblieben? Das war für meinen Munshi. (Die Fabians werden ernst. Der MUNSHI tritt ein.) In welchem Krankenhaus ist er?
BLATCHFORD
Süd-östlicher Gemeindebezirk A.2.
VIZEKÖNIG
Dieses Geschwätz geht mir auf die Nerven. (Zum MUNSHI.) Schicke mein Flugzeug zum Westminster Krankenhaus mit dem Auftrag, den Marquis von Holloway hier her zu bringen. Und achte darauf, dass er sicher transportiert wird.

LADY WELLS
Ich werde für ihn gerade stehen.
VIZEKÖNIG (Kehrt zurück zu seiner sentimentalen Stimmung)
Ah, aber ich kann Sie nicht dabei sein lassen, wenn er kommt. Er war bereits an der Reihe.
MARKGRÄFIN
Es wäre weitaus besser, wenn Ihre Vize-Majestät ihn alleine sehen würde. Wenn meinem Ehemann etwas zustöße, dann wäre es für mich zu schmerzhaft dabei zu sein.
VIZEKÖNIG
Sprechen wir lieber offen. Um was genau bitten Sie mich?
BLATCHFORD
Wir denken, es wäre der beste Weg aus den Schwierigkeiten heraus, wenn der Marquis friedlich von uns gehen würde mit einer Apoplexia cerebri. (Die MARKGRÄFIN gibt ein lautes Schluchzen von sich.)
VIZEKÖNIG (Er und BLATCHFORD wechseln intelligente Blicke des gegenseitigen Verständnisses)
Verstehe. Sie haben gehört, dass manche verdrießliche Besucher in meinem Büro einen Schlaganfall erlitten haben?
BLATCHFORD
Von welchem sie sich nicht mehr erholen.
MARKGRÄFIN (mit klagender Stimme, ihren Gram aber langsam überwindend)
Wir haben nicht den Wunsch, in ihren Verwaltungsmaßnahmen zu spitzeln. Sie scheinen aber bewundernswert reibungslos zu funktionieren.
VIZEKÖNIG
Nun, ich habe nichts dagegen, Sie in das Geheimnis einzuweihen, da ich sehe, dass ich auf Ihre Loyalität zählen kann. Sehen Sie diesen Knopf. (Die Fabians kommen vor und untersuchen ihn in achtungsvollem Abstand, mit Blicken der Bewunderung.)
MARKGRÄFIN (immer noch recht melancholisch)
Wunderbar! Sehr einfallsreich! So einfach! (Die Fabians kehren zu ihren Stühlen zurück und murmeln ihre Bewunderung.)
VIZEKÖNIG (Als alle wieder sitzen)
Ja, recht einfach. Er ist verbunden mit einem dieser Stühle – (Die Fabians springen mit sichtbarer Gemütsbewegung auf ihre Füße.) Es ist in Ordnung. Es kann nicht funktionieren, wenn ich den Knopf nicht betätige.
MARKGRÄFIN
Es ist wirklich Zeit, dass wir gehen. Ich fürchte, wir nutzen Ihre Freundlichkeit aus.
VIZEKÖNIG (Zu LADY WELLS)
Sicherlich werden Sie mich aber nicht verlassen? Sie denken doch nicht, dass ich Ihnen Schaden zufügen könnte? Außerdem ist es nicht Ihr Stuhl. Ich wäre gekränkt, wenn Sie mir nicht vertrauen würden. (LADY WELLS sitzt nervös am äußeren Rand ihres Stuhls. Die anderen zögern.)
MARKGRÄFIN (In einer andeutenden Stimme, während sie so tut, als ob sie sich hinsetzt.)
Und welcher Stuhl ist es?
VIZEKÖNIG
Dieser. (Deutet auf ihren. Sie steht ruckartig auf, während BLATCHFORD und KEIR-HARDIE vorsichtig ihre Plätze wieder einnehmen.) Bitte setzen Sie sich. Ich versichere Ihnen, dass der Stuhl vollkommen sicher ist.
MARKGRÄFIN
Ich bin mir sicher, das wäre er für jeden anderen. Aber ich habe mich noch nie mit Maschinen ausgekannt.
VIZEKÖNIG
Aber es ist so einfach. Während ich spreche platziere ich meine Hände so. (Während er spricht, legt er seine Hand auf den Tischrand, sodass der Knopf in der Reichweite seiner Finger ist. Die MARKGRÄFIN springt und bewegt sich hastig von ihrem Stuhl fort.) Ich bedauere, Sie so misstrauisch zu sehen. (Er zieht seine Hand verärgert zurück.)
MARKGRÄFIN
Nicht im geringsten! Aber ich habe mich gerade daran erinnert – (Legt ihr Taschentuch wieder über ihre Augen) – ich muss mich sofort um meine Trauerarbeit kümmern.
VIZEKÖNIG (Immer noch gekränkt.)
Es ist ein Jammer, dass ich den Mechanismus erklärt habe.
MARKGRÄFIN
Sagen Sie das nicht. Ich bin überaus dankbar, dass Sie es getan haben.
VIZEKÖNIG
Er scheint Ihnen nicht zu gefallen. (Ein Klopfen.) Herein!
MARKGRÄFIN (eifrig)
Lassen Sie mich die Türe öffnen.
Sie macht einen Sprung zur Türe, aber bevor sie diese erreicht, öffnet sie sich von außen durch den MUNSHI.
MUNSHI
Ihre Hoheit, die Ständige Premierministerin.
Die MARKGRÄFIN, die einen Ausweg aus der Gefahr sieht, bleibt ruhig. Der VIZEKÖNIG steht auf, als die PREMIERMINISTERIN eintritt, während ihr die STÄNDIGE DIENERIN aufwartet, er tritt nach vorne und bietet ihr die Hand zum Kuss. Die Fabians stehen auch auf. Die PREMIERMINISTERIN fängt an, nervös die gebotene Hand zu schütteln.
DIENERIN
Nicht so. Sie müssen die Hand küssen.
PREMIERMINISTERIN (Sie sieht die Hand zweifelnd an.)
Sollte er sie nicht zuerst waschen?
VIZEKÖNIG (Zieht den beleidigten Körperteil zurück.)
Ihre Hoheit scheint noch mehr distrait als normalerweise heute morgen. Ihre Verantwortlichkeiten scheinen ihr zu viel zu sein. (Zum MUNSHI.) Geben Sie Ihrer Hoheit einen Stuhl. (Er nimmt wieder auf seinem Stuhl Platz.)
MARKGRÄFIN (Als der MUNSHI gerade gehorchen will)
Lassen Sie doch die Hoheit auf meinem Stuhl Platz nehmen.
DIENERIN
Ihre Exzellenz ist sehr rücksichtsvoll. (Sie begleitet die PREMIERMINISTERIN zum befestigten Stuhl und stellt sich dahinter, während sie ihre Hände auf ihre Schultern legt. Die Fabians setzen sich wie früher, aber indem sie das tun, versuchen sie ihre Stühle von der Gefahrenquelle möglichst abzurücken. Die MARKGRÄFIN sinkt dankbar in einen Stuhl neben der Türe, als der MUNSHI hinausgeht.)
Ihre Hoheit hat auf Ihre Vize-Majestät gewartet, aufgrund der Volksunruhe.
VIZEKÖNIG (Erkennt seine Gelegenheit) Ah, ja, Sie meinen, es geht um den Mann, der erwacht ist?
DIENERIN
Ja, Ihre Vize-Majestät. Er wurde letzte Nacht invalidiert und der –
VIZEKÖNIG
Nicht so schnell. Lassen Sie uns zuerst die Tatsachen klären. Er hat eine lange Zeit geschlafen, richtig? (Zwinkert die Fabians an, die mit kränklichen Lächeln antworten.)
DIENERIN
Ja, Ihre Majestät.
VIZEKÖNIG (Lächelt und legt Hand an die Glocke.)
Wie lange hat er denn geschlafen? (Die Fabians fangen an zu kichern.)
DIENERIN (Versteht nicht, was von ihr erwartet wird.)
Ich weiß es nicht, Ihre Vize-Majestät.
(Ein schwaches Läuten kommt aus der Glocke, als der VIZEKÖNIG bitter enttäuscht seine Hand zurückzieht. Die Fabians schütteln sich vor unterwürfigem Lachen.)
VIZEKÖNIG (Wütend)
Trottel! (Die Fabians unterbrechen jäh ihre unpassende Fröhlichkeit. Die DIENERIN ist entsetzt.)
MARKGRÄFIN (mit Höflingseifer)
Zwei hundert Jahre.
VIZEKÖNIG
Dann will ich aber meinen, es war an der Zeit, dass er aufgewacht ist. (Dieses Mal zögern die Fabinas bis der VIZEKÖNIG das Signal gibt, indem er selbst anfängt zu lachen, und geben sich einer fast unnatürlichen Fröhlichkeit hin.)
PREMIERMINISTERIN
Worüber lachen sie alle?
VIZEKÖNIG (zur DIENERIN)
Es ist vollkommen offensichtlich, dass Ihre Hoheit dringend Ruhe braucht. Ich werde mit der Gesundheitsbehörde sprechen.
DIENERIN
Ich bitte Ihre Vize-Majestät um Verzeihung. Sie wissen möglicherweise nicht, dass Ihre Hoheit die Präsidentin dieser Behörde ist, ex officio. Sie hat die volle Punktzahl in Mentaler Pathologie erhalten. (Der VIZEKÖNIG kann hierzu nur schweigen.) Sie macht sich daher natürlich Sorgen über diese Angelegenheit.
VIZEKÖNIG
Das ist in Ordnung. Ich habe die Angelegenheit bereits mit Ihren Exzellenzen besprochen. Sie dürfen der Regierung mitteilen, dass ich Maßnahmen ergreife, um der Gefahr ein Ende zu setzen.
DIENERIN
Ihrer Hoheit liegt sehr viel daran zu verhindern, dass die Friedensflugzeuge eingesetzt werden.
VIZEKÖNIG
Ich denke nicht, dass das nötig sein wird. Ich habe nach dem Marquis von Holloway gesandt.
(Er und die DIENERIN wechseln Blicke des gegenseitigen Verständnisses.)
PREMIERMINISTERIN
Oh, dann gehe ich!
DIENERIN
Das können Sie gleich tun. (Zum VIZEKÖNIG) Ihre Hoheit hatte Angst vor der Aussicht, ihn heiraten zu müssen.
VIZEKÖNIG (Freundlich zur PREMIERMINISTERIN)
Sie müssen nichts befürchten, meine Liebe. Ich habe starke Gründe dafür zu denken, dass seine Krankheit tödlich enden wird.
PREMIERMINISTERIN (enttäuscht zur DIENERIN)
Du hast mir versprochen, wir würden den Vizekönig bitten, ihn umzubringen.
DIENERIN
Pst! Das meint der Vize-König doch!
PREMIERMINISTERIN (Zum VIZE-KÖNIG)
Oh, danke Ihnen. Bitte sagen Sie mir, wie Sie es machen.
VIZEKÖNIG
Wenn Sie sicher sind, dass es Ihnen keine Angst macht. Dieser Knopf (Die PREMIERMINISTERIN und die DIENERIN lehnen sich nach vorne, damit die um die Tischkante blicken können) – ist verbunden mit dem Stuhl auf dem Sie sitzen. (Die DIENERIN zieht ihre Hände zurück und springt zurück mit einem Schrei. Ihre Herrin bleibt aber ganz aufmerksam in seinen Erklärungen.) Ich muss nur den Knopf drücken, etwa so (berührt ihn mit seinem Finger) und Sie sind weg.
PREMIERMINISTERIN (sehr entzückt)
Das ist wirklich, wirklich lustig. Lassen Sie mich sehen, wie Sie es machen.
VIZE-KÖNIG
Ich dachte, dass Sie nicht auf den Marquis warten wollten.
PREMIERMINISTERIN
Ach, an den denke ich gar nicht. (Zur DIENERIN) Schnell, geh und hol uns einen Kameraden.
MARKGRÄFIN (Im Tone leidender Furcht)
Aber wird es genug Elektrizität geben für beide?
DIENERIN (Blickt aus dem Fenster)
Ich glaube, das ist seine Lordschaft.
PREMIERMINISTERIN (Erhebt sich in Alarmbereitschaft)
Oh, entschuldigen Sie mich bitte, meine Herrschaften. Ich muss nun einen Bazaar eröffnen.
Alle erheben sich. Als die PREMIERMINISTERIN und die DIENERIN aus der Türe eilen, landet ein Flugzeug draußen und Mr Shaw kommt durch die Balkontüre herein. Er ist in ein Clownkostüm (wie die altmodischen Pantomimen) gekleidet und seine Handgelenke und Fußknöchel sind in Ketten gelegt, die klappern und klirren, wenn er sich bewegt.
LADY WELLS
Der Meister!
MR SHAW (Klappert und klirrt mit seinen Ketten.)
Ich bin froh, dass Sie so denken. Ich hatte eher Angst, dass Sie mich mit einem Sklaven verwechseln.
MARKGRÄFIN
Mein armer Bernard! (Schluchzt.)
BLATCHFORD
Wir haben keine Sklaven mehr in Merrie England.
MR SHAW
Aber dafür einige Lügner. (Blickt um sich und lächelt.) Ist das der Maharajah? (Sein Gebaren zeigt deutlich, dass er noch nicht in der Ehrerbietung geübt ist, die sich für einen Engländer gegenüber der Herrscherrasse geziemt.)
VIZEKÖNIG (erhaben)
Ich bin der Vizekönig dieses Schutzgebietes. Sie dürfen sich setzen. (Winkt mit der Hand in die Richtung des Schicksalsstuhles und setzt sich selbst.)
LADY WELLS (Da MR SHAW kurz davor steht, sich auf einen anderen Stuhl zu setzen.)
Nicht da! Setzen Sie sich zu mir!
MR SHAW (Bezirzt durch die Verführerin.)
Ich habe erst das Recht dazu in vierzehn Tagen. (Nimmt den Stuhl, während die Fabians daneben stehen. Zum VIZEKÖNIG.) Ich muss Ihnen wirklich zu Ihrem Flugzeug gratulieren. (Gähnt.) Diese Luftfahrt hat mich schläfrig gemacht.
VIZEKÖNIG (Fängt fröhlich von Neuem an, da er eine neue Gelegenheit erkennt.)
Ich habe gehört, dass Sie recht tief geschlafen haben. Man erzählt mir, Sie sind eben aus einem Schlummer erwacht von – wie lange war er nochmal? (Lässt sein Lächeln auf die Fabians scheinen, die in erwartungsvolles Grinsen fallen.)
MR SHAW
Zweihundert Jahre; es war also ganz an der Zeit, dass ich erwache, oder? (Das Lächeln der Fabians erfriert auf ihren Lippen.)
VIZEKÖNIG (Am Boden zerstört.)
Verflucht! 9 (Mit plötzlicher Strenge.) Bitte keine unschickliche Leichtfertigkeit. Dies ist kein Gerichtssaal. Ich vermute, Sie wissen, wessen man Sie verdächtigt?
MR SHAW
Ja. In solch einer Gesellschaft wie dieser, kommt es einem Kompliment gleich, als anormal bezeichnet zu werden. (Springt auf.) Aber ich kann hier wirklich nicht sitzen, während die Damen stehen. (Zur MARKGRÄFIN.) Möchten Sie sich nicht hier her setzen?
MARKGRÄFIN
Nicht für alle Schätze der Welt, würde ich Ihnen diesen Platz nehmen!
VIZEKÖNIG
Bitte seien Sie so gut, Ihren Platz wieder einzunehmen. (Zu den Fabians.) Ich denke, Sie dürfen mir den Marquis anvertrauen. Aber warten Sie im Nebenzimmer, falls ich Sie doch brauche.
Die MARKGRÄFIN legt ihr Taschentuch über ihre Augen, als sie hinausgeht, aber nimmt es wieder herunter, um den anderen drei Zeichen zu geben, die Stühle aus der Reichweite von MR SHAW zu stellen. Sie stellen Sie zurück an die Wand und gehen hinaus, die MARKGRÄFIN führt die anderen an mit vor Gram gebücktem Kopf.
MR SHAW (wieder sitzend)
Sie scheinen hier der wahre Meister zu sein.
VIZEKÖNIG
Mein Herr, sie haben eine sehr familiäre Art. Ist Ihnen klar, dass die in der Gegenwart des Repräsentanten von Indien sind?
MR SHAW
Ist Ihnen klar, dass Sie in der Gegenwart eines Engländers sind? Aber natürlich nicht: wie könnten Sie auch? Ich habe meine Spezies überlebt.
(Lässt seinen Kopf in seine Hände fallen.)
VIZEKÖNIG
Es ist ein Jammer, dass Sie nicht vorher daran gedacht haben. Sie sollten vernünftiger sein, in Ihrem Alter. Nun aber, ich habe jederzeit Verständnis für die Besonderheit Ihrer Situation, aber je früher Sie begreifen, dass Ihr Leben in meinen Händen ist, umso besser für Sie. (Er lässt seine Hand am Tischrand ruhen, neben dem Knopf.)
MR SHAW (springt auf)
Was, meinen Sie, es gibt keine Gesetze mehr in diesem erbärmlichen Commonwealth?
VIZEKÖNIG (Bewegt seine Hand unbewusst weg, indem er auf die Parlamentsbeschlüsse zeigt.) Millionen von Gesetzen. Sie werden täglich karrenweise ratifiziert. Aber auf mich werden sie natürlich nicht angewendet.
MR SHAW (gähnt)
Warum nicht?
VIZEKÖNIG
Weil ich zur Gewerkschaft der Vizekönige gehöre und das einzige Mitglied bin. Aber nun setzen Sie sich doch.
MR SHAW (sitzend)
Ich gehöre zur Schriftstellergewerkschaft.
VIZEKÖNIG
Das tut mir leid für Sie. Schriftsteller wurden abgeschafft, ich glaube, vor etwa hundertfünfzig Jahren, weil ihre Arbeit als unproduktiv eingestuft wurde.
MR SHAW
Das hätte ich selbst erraten können. Dann schreibt keiner mehr Bücher?
VIZEKÖNIG
Ich bin mir nicht sicher, ob die aktuellen Gesetze das Schreiben verbieten. Sie dürfen gedruckt werden, aber sie werden natürlich nur für das Setzen bezahlt. Die Zeit, die sie mit Denken verschwenden, wird abgezogen.
MR SHAW
Ich bin in meiner Zeit darauf gekommen. Ich wundere mich nur, dass das Gesetz, das Denken nicht verbietet.
VIZEKÖNIG
Das wäre im Social Commonwealth ganz unnötig. (MR SHAW lacht. Der VIZEKÖNIG ist befriedigt.) Na bitte, ich bin mir sicher, dass Sie vollkommen harmlos sind.
MR SHAW (nicht so befriedigt)
Und warum denken Sie das?
VIZEKÖNIG
Sie haben einen Sinn für Humor und kein Humorist hat je eine Revolution begonnen.
MR SHAW
Und doch sagen sie mir, ich wäre verantwortlich für diesen Commonwealth. Ich fürchte, es ist ein sehr schlechter Scherz.
VIZEKÖNIG
Ja, wozu ihn dann wiederholen? Außerdem, denken Sie, dass Sie gegen mich ankommen könnten? (Legt seine Hand an die vorige Stelle.) Ich muss nur meine Friedensflugzeuge rufen und London in Asche verwandeln.
MR SHAW
Was sind Friedensflugzeuge?
VIZEKÖNIG
Kampfflugzeuge, Bomber.
MR SHAW
Warum nennen Sie sie dann nicht Kriegsflugzeuge?
VIZEKÖNIG
Weil wir unsere Achtung vor der humanitären Lehre zeigen möchten – Ihrer Lehre, wissen Sie. (Lächelt. MR SHAW lächelt als Antwort. Beide fangen an zu lachen und der VIZEKÖNIG zieht seine Hand zurück und lehnt sich in seinen Stuhl.) Mein lieber Marquis, ich kann sehen, dass Sie einer der rechten Sorte sind, wirklich. Sie sind ein viel zu guter Mann, um herumzugehen und die Eingeborenen in Aufruhr zu versetzen. Sie werden Ihnen so wie so nicht danken. Lassen Sie sie doch alleine und emigrieren Sie in ein zivilisiertes Land wie Indien? Ich kann Ihnen Einladungsschreiben an meine Freunde vermitteln, die entzückt sein werden, Ihnen eine Unterkunft zu bieten. (Sotto voce) Ich habe heute Abend ein kleines Abendessen, wenn Sie zu kommen wünschen. (Legt seine Hand senkrecht an den Mund und fügt flüsternd etwas hinzu.) 10
MR SHAW (Bewegt seinen Oberkörper empört zurück)
Ich staune über sie. Außerdem vergessen Sie, dass ich in den Flitterwochen bin. Ich kann ohne die Markgräfin nirgends hingehen.
VIZEKÖNIG
Auch nicht, wenn Sie von der Lebenskraft gerufen werden?
MR SHAW
Sie haben nicht das Recht mir meine verrufenen Doktrinen auf diese Weise vorzuhalten. Ich werde nur immer entschiedener darin, das Ungemach, das ich hervorgerufen habe, ungeschehen zu machen. (Gähnt.)
VIZEKÖNIG
Guter Mann, Sie werden das Schlechte nur verschlimmern. Aber Reformer sind ja nie zufrieden. Sie haben diese Unglückseligen aus der Pfanne geholt, damit sie ins Feuer fallen; und jetzt haben sie sich an das Feuer gewöhnt und Sie stecken sie zurück in die Pfanne. Lassen Sie sie doch in Ruhe.
MR SHAW (Im Ton der Entschuldigung)
Mein ganzes Leben stand schon immer im Dienste meiner Mitmenschen.
VIZEKÖNIG
Das erklärt, warum Sie sie in Ketten gelegt haben. Wenn Sie ein wahrer Philosoph wären, dann würde Sie dieses mechanische Millennium nur belustigen.
MR SHAW (herzlich)
Belustigt vom menschlichen Leiden!
(Der VIZEKÖNIG platziert seine Hand wie vorher, aber nimmt sie wieder zurück, da MR SHAW für ihn zu schnell wieder auf den Beinen ist.) Mensch, haben Sie kein menschliches Gefühl?
VIZEKÖNIG (beleidigt)
Wie haben Sie mich eben genannt?
MR SHAW
Ah, dann bezeichnen Sie sich gar nicht als Menschen?
VIZEKÖNIG
Natürlich nicht.
MR SHAW
Als was dann, wenn ich fragen darf?
VIZEKÖNIG
Als Übermensch.
MR SHAW (sinkt zurück in seinen Stuhl)
Frankenstein!
VIZEKÖNIG (seine Hand stiehlt sich zum Knopf zurück)
Ich zögere wirklich davor, starke Maßnahmen zu ergreifen. Wenn Sie mir Ihr Ehrenwort geben, ruhig zu gehen, dann lasse ich Sie als Unerwünschten deportieren.
MR SHAW
Wohin? Gibt es denn ein Land, das mich aufnehmen würde?
VIZEKÖNIG
Nur allzu gern würde Südafrika Sie aufnehmen.
MR SHAW
Nein! (Er springt auf. Der Vizekönig macht eine Bewegung den Knopf zu drücken, aber es ist zu spät, er zieht seine Hand enttäuscht zurück.) Zuerst will ich meine Lehre öffentlich zurückziehen.
VIZEKÖNIG
Aber Ihr Widerrufen ist schlimmer als Ihre Lehre.
MR SHAW (schreitet zum Tisch vor)
Ich lehne Ihr Angebot ab. Sie werden mich nicht davon schmuggeln, auch nicht die Gesundheitsbehörde. So lange ich noch Atem in mir habe – (gähnt) – werde ich auch sprechen.
VIZEKÖNIG
Wenn Sie wünschen, dass ich Ihnen zuhöre, müssen Sie sich setzen.
MR SHAW
Warum soll ich mich setzen? (Er klopft auf den Tisch mit seiner Faust in Handschellen. Der VIZEKÖNIG zeigt sich alarmbereit.) Ich sehe Ihre Vorrichtung. Ich weiß, warum Sie mich hier her gebracht haben, Sie möchten mich privat loswerden. Nun, das gelingt Ihnen nicht. (Er kehrt zu seinem Stuhl zurück, als er die Hand des Vizekönigs bemerkt, wie sie vorsichtig zum Knopf zurück geht.) Stop! (Der Vizekönig fährt hoch und zieht seine Hand durch einen nervösen Reflex zurück.) Wenn Sie diese Glocke berühren – (Die Glocke schlägt zwölf. MR SHAW gähnt.) – dann werde ich Sie erdrosseln – (gähnt) – im Namen der – (gähnt) – Menschheit!
Als die Glocke zu Ende geschlagen hat, läuft der Zauberspruch aus, den LADY WELLS über ihn ergossen hatte und der ihn vom Fluch des bösen Handlesers befreit hatte, und MR SHAW fällt für immer zurück in seinen Zauberschlaf.
Als er hilflos in seinen Stuhl nieder sinkt, zieht der gutmütige VIZEKÖNIG seine Hand vom Todesknopf zurück und ergreift statt dessen die Glocke.
VIZEKÖNIG
Hol mich der Teufel, wenn er nicht wieder eingeschlafen ist. (Läutet.) Und es ist auch an der Zeit, ich – (Er zieht sich plötzlich empor und lächelt, als er seinen letztlichen Erfolgsweg sieht.)
Die Fabians kommen mit leisen Schritten zu langsamer Musik herein; LADY WELLS kommt als erste in ein zartes Spitzen-Taschentuch schniefend herein, aber mit einem Gram, der nach Trost aussieht; die Lords BLATCHFORD und KEIR-HARDIE als nächste mit der traurigen aber entschlossenen Miene von männlicher Pflichterfüllung; und zum Schluss die MARKGRÄFIN, gekleidet in Trauerflor und Trauerkleid, sie wird gestützt durch den Arm des MUNSHI, der verblüfft ist über die Tiefe ihres Grams.
VIZEKÖNIG
Sie können Ihr Idol wieder zurück ins Bett legen.
MARKGRÄFIN (zwischen ihrem Schluchzen)
Aber ist der denn ganz tot?
LADY WELLS (Geht auf MR SHAW zu)
Lieber Meister!
VIZEKÖNIG
Was haben Sie vor?
LADY WELLS
Ich will ihm nur einen letzten Kuss geben.
VIZEKÖNIG
Nein! Bitte unterlassen Sie dies um jeden Preis!
LADY WELLS (geschmeichelt)
Sie müssen nicht eifersüchtig auf die Toten sein.
VIZEKÖNIG
Aber er ist nicht tot. (Die Fabians sind überrascht und bestürzt. Das Schluchzen der MARKGRÄFIN hört plötzlich auf.) Er ist in seinen höllischen Schlaf zurück gefallen und ich hoffe, Sie sind diesmal vernünftig genug, ihn ausschlafen zu lassen.
MARKGRÄFIN
Dann gehört er mir für immer!
LADY WELLS
Aber ich verstehe nicht. Wie ist es passiert, dass er wieder eingeschlafen ist?
BLATCHFORD
Aber verstehen Sie nicht? Bevor Sie ihn küssten, haben Sie den Wunsch geäußert, dass er für vierundzwanzig Stunden wach werden sollte. (Zeigt auf die Uhr.) Die vierundzwanzig Stunden sind soeben vergangen und er ist wieder eingeschlafen.
VIZEKÖNIG (Läutet triumphierend die Glocke.)
UND ICH MEINE WIRKLICH, ES IST AN DER ZEIT, DASS ERWIEDER EINSCHLÄFT! (Hysterisches Lachen, dem sich das Publikum anschließen darf. MR SHAW dreht langsam seinen Kopf und zwinkert das Publikum an, zum Zeichen, dass man noch von ihm hören wird.)
VORHANG
[Gefolgt von Beifall und mehreren Vorhängen, Rufen nach ‚Autor‘ und mehrere günstige Artikel in den Zeitungen des Folgetages.]
Anmerkungen:
- Looking Backward (2000-1887) or, Life in the Year 2000, A.D.; deutsch unter den Titeln Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 auf das Jahr 1887, Im Jahre 2000 : ein Rückblick auf das Jahr 1887 und Die wunderbaren Erlebnisse des Herrn Julian West im Jahre 2000
- WIKIPEDIA
- Wenn diese Unterscheidung nicht ausreicht, kann der Unterschied der Geschlechter noch weiter durch Haar- und Barttracht verdeutlicht werden.
- Sollte Lord Chamberlain Einwände dagegen haben, kann dies in der Schauspielfassung geändert werden zu „Für dem Teufel“.
- Das Buch Looking Backward, 2000–1887 (auch als Looking Backward (2000-1887) or, Life in the Year 2000, A.D.; deutsch unter den Titeln Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 auf das Jahr 1887, Im Jahre 2000 : ein Rückblick auf das Jahr 1887 und Die wunderbaren Erlebnisse des Herrn Julian West im Jahre 2000) von Edward Bellamy, das 1888 erstmals erschien, handelt von Julian West, einem jungen US-Amerikaner, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts während einer Behandlung mit animalischem Magnetismus, einer Art Hypnose, in einen tiefen Schlaf fällt, der über hundert Jahre lang anhält. Als er aufwacht, findet er sich zwar noch an derselben Stelle, aber die Welt um ihn herum hat sich verändert.
- Wir verwenden immer Esperanto, wenn wir nicht von den Kameraden verstanden werden wollen. Sie dürfen diese Sprache nur lernen, wenn sie die neunte Klasse bestanden haben.
- WIKIPEDIA
- Mensch und Übermensch
- Kann zu ‚Verflixt‘ geändert werden in der Kopie, die dem Zensor vorgelegt wird.
- Wenn der Zensor wissen möchte, was geflüstert wird, lasst ihn an sein eigenes Motto denken: Honi soit qui mal y pense.
Eine translatorische Meisterleistung! Einfühlsamer könnte man eines der bedeutendsten Stücke englischsprachiger Dramenliteratur seit William Shakespeare nicht ins Deutsche übersetzen. Ich kann das beurteilen, weil ich mich im Besitz des Originalmanuskripts befinde. Meine Ahnfrau Ophelia verkehrte vor dem Ersten Weltkrieg im Londoner Salon der Marchioness of Holloway, wo sie Allen Upward begegnete. Nach einer nur kurzen, aber um so leidenschaftlicheren Affäre überließ der Autor ihr sein Manuskript zum Dank für die empfangenen Wonnen. Noch zehn Jahre später machte sich Upwards Förderer Ezra Pound in Paris an meine Ahnfrau heran, um des kostbaren Dokumentes habhaft zu werden – vergeblich! Rein zufällig geriet es in meine Hände, als der Nachlass eines bankrotten Onkels versteigert wurde. Apropos: Ophelia ertränkte sich 1929 in einem seichten See (sie war recht kleinwüchsig) unweit ihres ostelbischen Rittergutes. Ihr Freitod hatte weder mit Mr. Upward noch mit Mr. Pound irgendetwas zu tun, sondern war schlicht dem Faktum geschuldet, dass sie in der Weltwirtschaftskrise ihr gesamtes Vermögen verloren hatte – bis auf das Manuskript. Honi soit qui mal y pense!
Oh, und dann begegnen wir uns hier! Welch ein außergewöhnlicher Zufall!
Ich kenne ja einige Biographien von Leuten und den Kreuzungen ihrer Wege im 20. Jahrhundert. Und die Geschichte von Ophelia kommt mir auch nicht so ganz unbekannt vor, ich glaube, ich habe schon mal davon gehört. Mir scheint, ich habe einige Briefwechsel gelesen und daraus ging hervor, dass einer der Gründe für den Freitod besagter Ophelia, trotzdem unter anderem etwas mit einer unerwiderten Liebe zu tun gehabt haben könnte, aber ich weiß nicht mehr, zu wem. Eventuell:
https://en.wikipedia.org/wiki/Arnold_Dolmetsch
?
Gerhard Münch wäre mir auch noch eingefallen, aber ich wüsste nicht, bei welcher Gelegenheit sie sich getroffen haben könnten, in London war er glaub ich nicht. Hm.
https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhart_M%C3%BCnch
Ich habe immer noch die Idee, einen Roman zu schreiben, in dem jedes Kapitel von einer anderen Person handelt und jedes Kapitel endet damit, dass die nächste Person eingeführt wird. Da könnte man von Dichtern, zu Musikern, zu Politikern usw. springen.
„Gerhard Münch“, nein, das ergibt keinen Sinn, der muss außerdem zu jung gewesen sein.
Walter Rummel?
https://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Morse_Rummel
Na ja, ich muss zugeben, dass meine Ahnfrau in jungen Jahren mehrere solcher Affären hatte. Einige davon mögen etwas einseitig gewesen sein. Sie war, glaube ich, auch einmal mit einem dänischen Prinzen verlobt, doch daraus wurde nichts. Den Rummel könnte sie in Paris getroffen haben, aber eher so um 1910 herum. Da konnte sie natürlich nicht ahnen, dass er später zu den „Gottbegnadeten“ eines gewissen Herrn Goebbels gehören würde. Ehrlich gesagt, hätte sie das auch nicht gestört. Wenn sie liebte, liebte sie bedingungslos.1929 war sie aber bereits in den Wechseljahren. Was freilich nichts heißen muss – doch in ihren letzten Tagebüchern und Briefen (die ich zusammen mit dem Upward-Manuskript ersteigert habe) ist kaum noch von Romantik, um so mehr hingegen vom Ruin die Rede. Eigentlich kein Grund, ins Wasser zu gehen, aber Ophelia war halt ein wenig exaltiert.
Im Übrigen möchte ich die verehrte Frau Kollegin ausdrücklich ermutigen, den projektierten Roman alsbald zu schreiben und in mindestens 12 Folgen auf Klarschicht zu veröffentlichen. Ich verspreche mir davon noch manche Erleuchtung, und außerdem wären die Herren Söhne, die ja nicht ganz erfolglos in der Literatur dilettierten, sicherlich sehr stolz auf ihre Frau Mutter…
@ A. Point:
„kaum noch von Romantik, um so mehr hingegen vom Ruin“
Ja, das ist ein verbreitetes Problem, weswegen Robert Browning auch so mit Engelszungen an die Menschen hingeredet hat:
Browning
Ja, wir brauchen entschieden mehr Optimismus. Wie etwa in einem der schönsten deutschen Gedichte des 20. Jahrhunderts, „Auferstanden aus Ruinen“ von Johannes R. Becher, das sogar verknöcherten Ost-Berliner Stalinisten Freudentränen entlockte. Manche halten Becher für einen expressionistischen Dichter, in Wahrheit stand er, wie Robert Browning und der frühe Pound, den Präraffaeliten nah. Aber mal im Ernst, verehrte Frau Kollegin: So eine Engelszunge wie die, die uns Brownings Ruinen-Liebe zuflüstert, wünschten wir uns doch auch für die Rezitation unserer Werke – oder etwa nicht? Meine jedenfalls würden dann endlich so sanft klingen wie sie eigentlich gemeint sind…