Das verallgemeinerte Glück

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Möchte sich ein Mensch Kant zuwenden, kommt er um den kategorischen Imperativ nicht herum, welcher, laut dem Allgemeinwissen-Lexikon, Wikipedia, in einer seiner Grundformen lautet: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Stellen wir uns jemanden vor, der Blumen in eine Vase steckt, gymnastische Übungen macht, zur Arbeit geht oder ein Bild malt. Profitiert er in seinen Einzelhandlungen von dieser Vorgehensweise? Also, putzt jemand seinen Boden besser, indem er seine Säuberung einer Maxime unterstellt? Und dann im zweiten Schritt, wird er eine bessere Maxime wählen, die sein Putzen noch besser macht, indem er eine Maxime findet, die für die ganze Welt „allgemeines Gesetz“ werden könnte oder sollte?

Man wird sagen, Putzen ist ein schlechtes Beispiel. Gehen wir von etwas Anspruchsvollerem aus. Sagen wir mal, jemand übt eine für ihn anspruchsvolle Tätigkeit aus, zum Beispiel, er übt ein Instrument. In segensreichen Momenten kann er so beglückt sein von seinem Spiel, dass er stark beeindruckt ist, von dem Eindruck der Erkenntnis. Hierdurch kann er zu einer Pause verleitet werden, in welcher er Worte sucht, für diese wichtige Erkenntnis. Zum Beispiel kann er ganz begeistert denken „alles fließt“. Das ist jetzt noch keine Maxime, sondern eine sehr vage Behauptung in Metaphernform, die auf den berühmten Griechen Heraklit zurückgeführt wird.

Eine Maxime ist eine Art Grundsatz, der im Leben zum richtigen Handeln führen soll. Nun liegt es aber in der Natur allen Handelns, dass Handlungen höchst verschieden sind und auch ebenso verschieden motiviert. Ein Geiger, der oben beschriebene Erkenntnis durch sein Spiel erlebt hat, wird, Kant folgend, dann sagen: „Man muss fließen.“ „Muss“ ist aber eine Aufforderung und auf Aufforderungen reagiert jeder anders, als wenn er spontan etwas tut. Folglich kommen wir schon zum ersten Widerspruch „sei spontan“. Der nächste Schritt der Verallgemeinerung ist, weiter Kant folgend, dass diese Maxime dem Maximenschöpfer so gut erscheinen muss, dass sie nicht nur allgemeingülitg ist (also auch ohne Aufforderung überall in der Natur wirkt), sondern dass der Maximenerfinder zugleich wollen kann, dass sie ein allgemeines Gesetz werde:

„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

„Werde“ heißt nicht „ist“, er findet also nicht ein Gesetz, das von sich aus überall von sich aus stimmt, sondern er findet ein Gesetz, das erst noch auferlegt werden muss und dies muss er „wollen“. Was bedeutet, dass er in diesem Schritt der Verallgemeinerung schon einen Missionseifer entwickelt, was nichts mehr zu tun hat mit der Ursache seiner Erkenntnis. Sondern er möchte jetzt die Wirkung zur Ursache machen. Er nimmt die als zweites oder drittes gefundene Maxime als Ursache der Wirkung. Und er vertauscht nicht nur Ursache und Wirkung bei sich, sondern er verlangt, dass Alle dies tun (per Gesetz), obwohl er noch nicht mal bewiesen hat, dass diese Umkehrung bei ihm selbst funktioniert, geschweige denn bei allen unter der Sonne, die dem Gesetz danach unterliegen sollen (zu ihrem eigenen Wohl, ob es ihnen passt oder nicht).

Das ist sehr stimmig, denn „kategorisch“ bedeutet „keinen Widerspruch zulassend“, „Imperativ“ bedeutet in der Grammatik „Befehlsform“.

Dies würde alle möglichen Schlüsse zulassen, die in den allgemeinen Formulierungen nicht sogleich zu erkennen sind. Beispielsweise lässt sich einer impfen. Im ersten kantschen Schritt denkt er: Das tue ich, um andere zu schützen. Im zweiten Schritt denkt er, dass alle dies tun sollten und ein Gesetz der Bundesregierung hierbei Not täte. (Zu Ehren Kants kann das neue Gesetz dann „Der kategorische Impferativ“ heißen und jeder, der nicht mitmachen will, zahlt eben eine Million Euro oder geht für den Rest des Lebens ins Gefängnis.)

Jetzt kann man sagen, dieser Gesetzgeber hätte Kant falsch interpretiert und wäre auch sonst ein Dummkopf. Aber hat Kant ihn denn gewarnt vor dieser Falschauslegung? Ich kenne niemanden, der leugnet, dass es in der Welt haufenweise Dummköpfe gibt und dass dies seit Menschengedenken schon so war. Gerade Philosophen geben dies häufig offen zu oder sie denken es für sich.

Nun sagt aber Kant nicht, dass diese Vorgehensweise nur in der Philosophie und nur für diese überlegene Berufsgruppe bei ihren Denkhandlungen von Vorteil sei, sondern allgemein verordnet werden sollte. (Was ein neues Problem aufwirft, denn durch die Verschiedenheit der Menschen wird jeder höchst eigene Maximen zutage fördern und man müsste ganz am Anfang bestimmten, wer bestimmen darf und wer folgen muss, was wieder zu vielen Meinungsverschiedenheiten führen könnte.)

Aber kommen wir zu unserem, durch Kant erwachten, Geiger zurück, der früher vielleicht jemanden durch seine Musik erfreut hat, auch wenn dies nur eine Amsel im Garten war. Er denkt jetzt, dass er die Menschheit effizienter beglücken kann, indem er sie von seiner Erkenntnis unterrichtet, die er ursprünglich nicht ohne die Musik erfahren hätte. Das erinnert nicht ganz umsonst an Joseph Beuys, der sich sagte, wozu Künstler sein, wenn ich auch Muse sein kann und folglich alle zu Künstlern werden?

Das ist konsequent! Weiter konsequent ist es, dass alle diese durch die Muse Beuys geschaffenen Künstler, ebenfalls keine Kunst schaffen, sondern ihrerseits wieder Musen sind, die überall Künstler erschaffen, die wieder keine Künstler sind, sondern (wie man sich Musen vorstellt) schöne Frauen (die aber weder schön, noch Frauen sein müssen, wie Beuys bewiesen hat).

Dieses verallgemeinerte Glück ist namenlos, anmutig, wahrlich unvorstellbar…

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