Es war um die blaue Stunde, die sich um diese Jahreszeit zwischen acht und neun einzustellen pflegt. An der Fußgängerampel stand ich und wartete wie ein Zombie auf grün, als eine Frau beschloss, sich das Warten zu schenken und die Straße auch ohne elektrische Erlaubnis zu überqueren.
„Sie, das ist den Kindern aber kein Vorbild“, rief ein Vater mit zwei Kindern im Grundschulalter hinterher. Er sprach in angepasstem Bayrisch und in seiner Stimme hörte man das absolute Recht, das er innehatte.
„Genau,“ rief der etwa neunjährige Sohn erstaunlich tief und gehässig. „Sonst müssen wir die Polizei rufen!“
Der Vater suchte meinen Blick, denn er wollte Komplizen. Aber ich wartete wie ein Zombie bis es grün wurde und ging. Ich ging sehr lange immer gerade aus und wenn ein Zaun meinen Weg versperrte, kletterte ich darüber. Der Tag war einfach dazu angetan, ewig und ohne Ausnahme gerade aus zu gehen. Ich hoffte gerade, dass sich mir keine Laterne entgegen stellen würde, die sehr schwierig zu überklettern sein musste, als ich gegen ein parkendes Auto lief. Es blieb mir ja nichts anderes übrig und so stieg ich über die Kühlerhaube.
„Sie da! Sie da! Ich ruf die Polizei,“ rief der Autobesitzer von der anderen Straßenseite, der mich nun verfolgte, so dass ich zu rennen begann. Es war eine Schockreaktion in meinem Kopf befand sich vermutlich kein einziger Gedanke, ich erinnere mich im Nachhinein nur, dass ich zuerst in eine Hecke sprang und dass sich dann ein Kanal unpassierbar vor mir ausbreitete. Der Mann hatte meine Fährte vielleicht verloren oder er rannte nunmehr lautlos wie ein Bär. Glücklicherweise fand ich ein Boot im Wasser und ich dachte, dass Bären wahrscheinlich nicht schwimmen können, ich rettete mich auf das Fahrzeug und ruderte tierisch davon. Die Luft war ganz rein, ein Gedanke begann sich zu materialisieren, doch da raste eine Frau in einem Motorboot daher und versuchte, mich zu rammen. Meine Logik ließ mich im Stich und ich wusste nicht, mit welchem Ruder ich paddeln sollte, um mich nach rechts zu drehen. So drehte ich mich aus Versehen nach links und stieß mit dem Motorboot zusammen. Sie griff nach einem meiner Ruder, schlug ihn mir quer über den Kopf und schrie: „Sehn Sie! Das passiert, wenn man sich nicht an die Verkehrsregeln hält!“
Ich wachte im Krankenhaus auf und wusste nicht, was unangenehmer war, das Gefühl, dass ich an allem Schuld war oder die Tatsache, dass ich keinerlei Versicherung hatte, weil ich mir so etwas nicht leisten konnte. Ich hatte Kopfschmerzen und wollte meine Augen lieber gar nicht öffnen, um Verhöre zu vermeiden. Doch das Leben fordert von sich aus, dass man die Augen öffnet, warum weiß ich nicht. Das Zimmer war – wie man sich das im Allgemeinen vorstellt – relativ weiß. Vor mir stand ein Mann und hielt eine zerbrochene Windschutzscheibe in beiden Händen.
„Sehen Sie nur, was sie angestellt haben!“
„Es tut mir leid. Es tut mir leid.“ Ich war sehr verlegen und schaute zu Boden.
„Das ist auch keine Entschuldigung. Das ist… was soll ich mit einer Entschuldigung, das ist ja eine Frechheit. Sie sollen sich nicht entschuldigen, Sie sollen sich richtig verhalten. Und wenn sie mir die Scheibe bezahlt haben, dann entschuldigen Sie sich gefälligst!“
Ich unterdrückte eine Entschuldigung dafür, dass ich mich entschuldigt hatte. Der Mann hingegen verließ den Raum so heftig türeknallend, dass die Tür in mehrere Stücke brach, so dass er in einen Streit mit einer Krankenschwester geriet. Das war ein ausgezeichneter Moment zu fliehen! Barfuß und im weißen Unterhemd lief ich aus dem Krankenhaus, das sich interessanterweise mitten in einem Urwald befand. Ich fürchtete mich sehr vor Schlangen. Sehr. Aber noch mehr hatte ich Angst vor Wespen. Aufgrund meiner Barfüssigkeit war ich recht verletzbar und schnitt mich an etwas Spitzem – einer zerbrochenen Bierflasche, wie ich zu spät erkannte – und nun blutete ich obendrein am Fuß. Ich fluchte auf die Kunstinteressierten, die hier offenbar eine Party gefeiert hatten und schleppte mich ängstlich davon, denn ich dachte an Geschichten, in denen es um bestimmte Tiere geht, die Blutspuren verfolgen. Aber ich konnte mich nicht erinnern, um welche Tiere es dabei immer ging. Blutegel? Blutschlangen? Blutwespen gar? Oh mein Gott. Ich war dem Tode geweiht, wie eine Motte im Weinglas. Aber ich dachte mir, sterben war nicht so schlimm, wie eine Windschutzscheibe zu zahlen, die mit Sicherheit Millionen kostete und ich hatte noch – Moment – genau drei Euro und vierzundzwanzig Cent. Das reichte nicht einmal für Zigaretten. Und ich rauchte doch so gern, besonders, wenn ich nervös war.
Da wachte ich auf. Es war ein normaler Tag und nichts regte sich im Zimmer. Aber die Möbel – ich sah die Möbel und den Kronleuchter an der Decke, der subtil schaukelte und ich begriff, dass die Welt noch viel schlimmer war, als ich es mir ausdenken oder erträumen konnte – nie im Moment selbst, weil der Moment so absorbierend war, dass man keine Zeit hatte, sich über den Schrecken zu erschrecken. Ich dachte an die Unmöglichkeit sich umzubringen, denn wer Angst vor Wespen hat, hat noch viel mehr Angst vor dem Tod. Oder vor dem Leben davor. Oder vor einer Nase, die riecht oder einer Hand, die sich helfend stellt. Das zynische Schicksal brachte mich dazu, einen Kaffee zu kochen, langsamer zu atmen und vom Fenster her, meine Nachbarn zu beobachten, wie sie das Gartenhäuschen reparierten. Da ging mein Atem doch wieder schneller. Hatten die denn nix Besseres zu tun? Hatten die denn nicht mehr alle Tassen im Schrank! Wussten die denn nicht, dass die Uhr längst tickte? Verbissene Idioten! Ich schaltete meinen Rechner an und begann einen Roman zu schreiben mit dem Titel: Die verbissenen Idioten.
Kerzen im Badezimmer sorgen für eine unverwechselbar romantische Stimmung. Licht aus: Sie ließ das Badewasser einlaufen und fügte einige Düfte hinzu, erotisch-narkotisch: Lavendel, rosa Grapefruit, Bois de Rose und einige handvoll Rosenblätter. Wenn er kommt, liege ich im Bad, wenn er mich zwischen so schönen Dingen sieht, wird er mich wieder begehren, wie am ersten Tag. Die Wohnung war ordentlich bis in jede Einzelheit, saubere Kleidung für später lag auf ihrem Bett, die Kleidung von vorher gleich in die Wäsche, dann war das auch weg. Mit der Hand fuhr sie in das Wasser, es schien richtig zu sein, mit dem Fuß überprüfte sie diese Annahme, denn ihr Fuß neigte dazu, alles heißer zu finden als die Hand. Warum eigentlich? Hmm. Ach, ist das schön im Wasser zu liegen, man gönnt sich so was viel zu selten. So: Büffet steht im Esszimmer, Rotwein atmet. Ach du liebe Güte! Der Kuchen! Sie sprang aus ihrer Badewanne, lief tropfend in die Küche und wollte den Ofen ausmachen – aber er war schon aus. Manchmal war sie etwas zerstreut.
Noch mal. Hmm. Wasser ist so… existenziell, man kommt zu seinen Wurzeln. Nicht wie in der Arbeit, wo man doch wirklich ein Instrument ist. Laut sagte sie: „Ich sag´ s wie´ s is: ein Instrument damit ein anderer Geld scheffelt. So schaut´ s nämlich aus.“ Jahrelang hatte sie in der Buchhandlung gearbeitet, es hatte ihr nichts ausgemacht – in der Jugend hatte sie alle Energie in den Laden gesteckt – doch langsam wurde die Monotonie sogar für sie offensichtlich. Vielleicht hätte sie doch versuchen sollen, Karriere zu machen und Chefin zu werden, statt für den Rest des Lebens bei der Bestellung im Wareneingang zu sitzen. Aber immer noch besser als Kunden zu bedienen, keine Frage, das war eigentlich die reinste Erniedrigung.
Roland musste bald kommen, er würde sie so sehen und sie sofort begehren, wie am… Langsam kamen ihr Zweifel an der Wirksamkeit der Überraschung. Sie war schließlich keine junge Geliebte, sondern eine Ehefrau. Das war eigentlich ein sehr großer Unterschied. So sicher war sie sich gar nicht, dass er für Kerzen, Blumen und solchen Schnickschnack überhaupt etwas übrig hatte. Genau genommen hatte er dafür überhaupt kein Auge. Wie musste das alles auf ihn wirken? War es doch besser, angezogen auf ihn zu warten? Würdevoller, mit einem Abendkleid und hochhackigen Schuhen vielleicht. Ah, oder im Bademantel und mit einer Zigarette? Ach, einem Ehemann musste man vertrauen können, er sollte wenigstens so tun als ob. Es war doch nur ein Spiel und er sollte gefälligst mitspielen. Das war am Hochzeitstag doch wohl nicht zu viel verlangt.
Aus einem plötzlichen Instinkt heraus drehte sie sich zum Badezimmerfenster um und sah dort zwei Kinderköpfe, die hereinblickten und hämisch kicherten. Wie waren die Lümmel überhaupt heraufgeklettert? Ihre Wohnung lag im fünften Stock.
„Geht sofort wieder runter“, rief sie erbost. Als sei das ein Zauberspruch gewesen, verloren die zwei Kinder den Halt und fielen. Sie trat zum Fenster und sah, wie sie auf ein Auto gefallen waren, dessen Windschutzscheibe sie mit ihrem Gewicht zertrümmert hatten und mit anderen Lümmeln wegrannten.
Hoffentlich waren sie nicht allzu verletzt, das hatte sie nun auch nicht gewollt, ob man sie zur Verantwortung ziehen würde? Leichtsinnig diese Jugend, immer nur auf Zerstörung aus, dachte sie, als sie sich den Bademantel überzog, das Wasser war ohnehin dabei, kalt zu werden. Und es war doch besser, den Hochzeitstag nicht so überzogen zu begehen. Eine Jeans, ein Hemd und ein Lächeln waren viel angebrachter. Schließlich war die Ehe zur Entspannung da, das Leben hatte genug Ansprüche. Stimulation zu brauchen, war so kindisch. Sie hatte doch immer mit beiden Beinen auf dem Boden gestanden. Sie hatte gearbeitet, sich selbst verwirklicht. Als Heimchen konnte man sie nun wirklich nicht bezeichnen, dachte sie, als sie sich Whiskey einschenkte und sich eine Zigarette anzündete. Puh, die schmeckte stark. Aber zweiundvierzig war ein gutes Alter, um wieder mit dem Rauchen anzufangen. Ein Beweis dafür, wie tief sie das Leben verstanden hatte. Es bestand nämlich nur aus Problemen und man musste ein gleichmütiges Gesicht bewahren mit einer Mentholzigarette im Mundwinkel. Sie dachte: ich warte doch gar nicht, ich sitze nur hier und trinke Whiskey. Roland wird Augen machen, wenn er mich rauchen sieht.
Wer brauchte schon Sex im Untergrund der Buchhandlung? Sie jedenfalls nicht. Ein guter Titel für einen Bestseller: Harry Potter and sex in the underground bookstore. Die Kinder waren doch heutzutage keine Kinder mehr. Sex, Gewalt, Terrorismus, so schaute es nämlich aus.
Nach einer halben Stunde schenkte sie sich noch ein Glas Whiskey ein und wurde doch traurig. Ehe war doch nur eine Illusion, sie würde sich scheiden lassen und einen jüngeren Mann finden. Sie begann einen Abschiedsbrief zu verfassen:
Roland-
Da sitze ich nun und ertränke meine Lust im Whiskey.
Doch das war nicht bedeutungsvoll genug. Ein Abschied, das musste sein wie in der Oper. Die Arie der Königin der Nacht. Sie ging zum Regal, wo die ganze Weltliteratur stand, ungelesen. Diese Bücher mussten doch voll von Abschiedsbriefen sein. Sie griff eines heraus, fand aber keinen Brief, dann ein weiteres. Proust.
Mon ami-
Guter Anfang! Hervorragend. Jetzt kam der Rest wie von selbst:
Ich habe schon immer Angst vor dir gehabt. Deswegen hinterlasse ich dir diese Zeilen, die ich nicht mündlich hätte sagen können. Meine Hand zittert bei dem Gedanken an die Wut, die dich ergreifen wird, wenn du diesen Brief liest. Zwischen uns ist es doch aus, die Ehe ist nunmehr zur Fessel geworden.
Fessel! Hervorragend!
Wir leben an einander vorbei, wie zwei Schwimmer, die an einander vorbeischwimmen.
Schöner Vergleich! Jetzt noch etwas über die tiefe See. Sie trank noch einen Schluck Whiskey, das inspirierte sie.
Du warst auf einem Boot und ich war die tiefe See, die du nie verstanden hast.
Nein. Lieber so:
Deine Segel waren im Wind, an der Oberfläche der tiefen See…
Ein Schlüssel drehte sich im Schloss und die Tür ging auf. Roland schleppte mit seinem Freund Heinz ein großes Paket herein. Sie stellten das Paket im Schlafzimmer ab, Heinz grüßte und verschwand mit bedeutungsvollen Blicken. Roland trat auf sie zu – er war in bester Laune – küsste sie auf die Stirn und sagte:
„Tut mir leid, dass ich so spät komme! Aber das Geschenk war nicht so leicht zu transportieren. Du rauchst?“
„Ist das Geschenk für mich?“
Er umarmte sie zärtlich und gratulierte ihr zum Hochzeitstag. Er sagte, dass er keinen Tag mit ihr bereut habe, sie solle aber nicht auf den Gedanken kommen, wieder mit dem Rauchen anzufangen.
Mit vereinten Kräften packten sie das Geschenk aus. Es war ein Roboter ohne Gesicht mit erigiertem Penis. Er erinnerte sie an Science-Fiction-Filme oder an Terminator II.
Roland erklärte: „Ich weiß, dass du dir viel häufiger Sex wünschst, als ich ihn dir geben kann. Es ist nun eben so, wir sind seit zwanzig Jahren verheiratet. Ich liebe dich sehr, aber ich liebe dich inzwischen wie eine Schwester. Natürlich gönne ich dir Sex, deswegen habe ich beschlossen, dir dieses Geschenk zu machen.“
Roland studierte begeistert die Gebrauchsanleitung und sie selbst befühlte die Oberfläche des Gegenstands – sie war nicht so weich wie Haut, glänzte metallisch, aber es war passabel.
„Man kann ihn auf sieben Stufen einstellen: von sehr sanft bis brutal.“
„Probieren wir medium“, sagte sie unentschlossen. „Mal sehen, was er darunter versteht, nachher kann man ihn ja noch feinstellen.“
„Willst du ihm keinen Namen geben?“
„Pet“, sagte sie kurz.
„Willst du mit Sound oder ohne?“
“Mit. Kann man die Sprache aussuchen?“
„Kann man“, sagte Roland stolz, „was hättest du denn gern?“
„Latein!“
„Leider kann ich nur mit lebenden Sprachen dienen.“
„Französisch!“
Pet machte zuerst eine Hüftbewegung, so ähnlich wie Elvis Presley. Ein verwegener Anfang! Eine Vorwegnahme des Aktes. Er sagte: „Je ne viens pas ce soir, vaincre ton corps, ô bête!“
„Oh! Er ist ein Poet“, rief sie, „stell ihn bitte eine Stufe weicher, Roland, nein, härter!“
Sie zog sich aus und legte sich auf das Bett. Sie blickte zum Schlafzimmerfenster und da waren schon wieder zwei Lümmel, die hereinblickten.
„Haut sofort ab, oder ich ruf die Polizei!“
Die Lümmel kicherten, dann verloren sie den Halt und fielen hinunter.
„Viens“, sagte sie zu Pet.
„… ni creuser dans tes cheveaux impurs une triste tempête…”
Pet war auf das Bett gekrochen und fuhr ihr bei diesen Zeilen durch die Haare. Er war ganz warm geworden und sie auch. Sie fühlte seine Hitze und seine seltsame Haut, die so glatt war wie Plastik. Sie wollte, dass er sofort eindringe, doch Pet wusste, wie man die Erregung steigerte. Er fuhr ihr über die Brüste, saugte an ihnen und rezitierte mit ersterbender Stimme: „Ayant peur de mourir lorsque je couche seul!“
Roland saß neben ihnen auf dem Bett, manchmal verjagte er Kindsköpfe vom Fenster.
Pet drang in sie ein und es erschien ihr wie die Erfüllung ihres Lebens. Er wurde heißer und heißer, fast so heiß, dass es schmerzte, ihn zu berühren. Seine Beckenbewegungen waren so vollkommen und rhythmisch wie die Brandenburgischen Konzerte. Er sagte: „Il pleure dans mon coeur comme il pleut sur la ville!” Doch er konnte vor Erregung und Hitze nicht weitersprechen. „Aua!“ Schrie sie in Ekstase. „Tu es franchement chaud!”
Roland rannte herbei und warf Pet hinunter. Sie dachte zuerst, es geschehe aus Eifersucht, doch dann sah sie, dass Pet brannte.
Roland kippte eimerweise Wasser über Pet und sagte: „Es tut mir leid. Es muss ein Wackelkontakt gewesen sein. Ich tausche ihn morgen um, er hat fünf Jahre Garantie.“
Möchte sich ein Mensch Kant zuwenden, kommt er um den kategorischen Imperativ nicht herum, welcher, laut dem Allgemeinwissen-Lexikon, Wikipedia, in einer seiner Grundformen lautet: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“
Stellen wir uns jemanden vor, der Blumen in eine Vase steckt, gymnastische Übungen macht, zur Arbeit geht oder ein Bild malt. Profitiert er in seinen Einzelhandlungen von dieser Vorgehensweise? Also, putzt jemand seinen Boden besser, indem er seine Säuberung einer Maxime unterstellt? Und dann im zweiten Schritt, wird er eine bessere Maxime wählen, die sein Putzen noch besser macht, indem er eine Maxime findet, die für die ganze Welt „allgemeines Gesetz“ werden könnte oder sollte?
Man wird sagen, Putzen ist ein schlechtes Beispiel. Gehen wir von etwas Anspruchsvollerem aus. Sagen wir mal, jemand übt eine für ihn anspruchsvolle Tätigkeit aus, zum Beispiel, er übt ein Instrument. In segensreichen Momenten kann er so beglückt sein von seinem Spiel, dass er stark beeindruckt ist, von dem Eindruck der Erkenntnis. Hierdurch kann er zu einer Pause verleitet werden, in welcher er Worte sucht, für diese wichtige Erkenntnis. Zum Beispiel kann er ganz begeistert denken „alles fließt“. Das ist jetzt noch keine Maxime, sondern eine sehr vage Behauptung in Metaphernform, die auf den berühmten Griechen Heraklit zurückgeführt wird.
Eine Maxime ist eine Art Grundsatz, der im Leben zum richtigen Handeln führen soll. Nun liegt es aber in der Natur allen Handelns, dass Handlungen höchst verschieden sind und auch ebenso verschieden motiviert. Ein Geiger, der oben beschriebene Erkenntnis durch sein Spiel erlebt hat, wird, Kant folgend, dann sagen: „Man muss fließen.“ „Muss“ ist aber eine Aufforderung und auf Aufforderungen reagiert jeder anders, als wenn er spontan etwas tut. Folglich kommen wir schon zum ersten Widerspruch „sei spontan“. Der nächste Schritt der Verallgemeinerung ist, weiter Kant folgend, dass diese Maxime dem Maximenschöpfer so gut erscheinen muss, dass sie nicht nur allgemeingülitg ist (also auch ohne Aufforderung überall in der Natur wirkt), sondern dass der Maximenerfinder zugleich wollen kann, dass sie ein allgemeines Gesetz werde:
„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“
„Werde“ heißt nicht „ist“, er findet also nicht ein Gesetz, das von sich aus überall von sich aus stimmt, sondern er findet ein Gesetz, das erst noch auferlegt werden muss und dies muss er „wollen“. Was bedeutet, dass er in diesem Schritt der Verallgemeinerung schon einen Missionseifer entwickelt, was nichts mehr zu tun hat mit der Ursache seiner Erkenntnis. Sondern er möchte jetzt die Wirkung zur Ursache machen. Er nimmt die als zweites oder drittes gefundene Maxime als Ursache der Wirkung. Und er vertauscht nicht nur Ursache und Wirkung bei sich, sondern er verlangt, dass Alle dies tun (per Gesetz), obwohl er noch nicht mal bewiesen hat, dass diese Umkehrung bei ihm selbst funktioniert, geschweige denn bei allen unter der Sonne, die dem Gesetz danach unterliegen sollen (zu ihrem eigenen Wohl, ob es ihnen passt oder nicht).
Das ist sehr stimmig, denn „kategorisch“ bedeutet „keinen Widerspruch zulassend“, „Imperativ“ bedeutet in der Grammatik „Befehlsform“.
Dies würde alle möglichen Schlüsse zulassen, die in den allgemeinen Formulierungen nicht sogleich zu erkennen sind. Beispielsweise lässt sich einer impfen. Im ersten kantschen Schritt denkt er: Das tue ich, um andere zu schützen. Im zweiten Schritt denkt er, dass alle dies tun sollten und ein Gesetz der Bundesregierung hierbei Not täte. (Zu Ehren Kants kann das neue Gesetz dann „Der kategorische Impferativ“ heißen und jeder, der nicht mitmachen will, zahlt eben eine Million Euro oder geht für den Rest des Lebens ins Gefängnis.)
Jetzt kann man sagen, dieser Gesetzgeber hätte Kant falsch interpretiert und wäre auch sonst ein Dummkopf. Aber hat Kant ihn denn gewarnt vor dieser Falschauslegung? Ich kenne niemanden, der leugnet, dass es in der Welt haufenweise Dummköpfe gibt und dass dies seit Menschengedenken schon so war. Gerade Philosophen geben dies häufig offen zu oder sie denken es für sich.
Nun sagt aber Kant nicht, dass diese Vorgehensweise nur in der Philosophie und nur für diese überlegene Berufsgruppe bei ihren Denkhandlungen von Vorteil sei, sondern allgemein verordnet werden sollte. (Was ein neues Problem aufwirft, denn durch die Verschiedenheit der Menschen wird jeder höchst eigene Maximen zutage fördern und man müsste ganz am Anfang bestimmten, wer bestimmen darf und wer folgen muss, was wieder zu vielen Meinungsverschiedenheiten führen könnte.)
Aber kommen wir zu unserem, durch Kant erwachten, Geiger zurück, der früher vielleicht jemanden durch seine Musik erfreut hat, auch wenn dies nur eine Amsel im Garten war. Er denkt jetzt, dass er die Menschheit effizienter beglücken kann, indem er sie von seiner Erkenntnis unterrichtet, die er ursprünglich nicht ohne die Musik erfahren hätte. Das erinnert nicht ganz umsonst an Joseph Beuys, der sich sagte, wozu Künstler sein, wenn ich auch Muse sein kann und folglich alle zu Künstlern werden?
Das ist konsequent! Weiter konsequent ist es, dass alle diese durch die Muse Beuys geschaffenen Künstler, ebenfalls keine Kunst schaffen, sondern ihrerseits wieder Musen sind, die überall Künstler erschaffen, die wieder keine Künstler sind, sondern (wie man sich Musen vorstellt) schöne Frauen (die aber weder schön, noch Frauen sein müssen, wie Beuys bewiesen hat).
Dieses verallgemeinerte Glück ist namenlos, anmutig, wahrlich unvorstellbar…
Die Menschen sind Todesmystiker, vor denen man sich in Acht nehmen muss.
Denkt man an Zola, bleibt man etwas peinlich berührt vor seinem Werk stehen; er ist uns noch zu nah, wir können ihn noch nicht gut genug beurteilen, in seinen Absichten, meine ich. Er spricht von Dingen, die uns sehr bekannt sind… Es wäre angenehmer, wenn sie sich ein wenig geändert hätten.
Man erlaube eine kleine persönliche Erinnerung. In der Weltausstellung von 1900 war man noch sehr jung, aber man hat die lebhafte Erinnerung behalten, dass es eine große Brutalität war. Füße vor allem, Füße überall und Staub in Wolken, die so schwer waren, dass man sie berühren konnte. Nicht enden wollende Menschenmengen defilierten, trampelten, zermalmten die Ausstellung und dann dieser rollende Fußweg, der bis zu der Galerie der Maschinen knarrte, die zum ersten Mal voll war von gefolterten Metallen, kolossalen Bedrohungen und Katastrophen in der Schwebe. Das moderne Leben begann.
Seit dem haben wir es nicht besser gemacht. Nach Der Totschläger haben wir es auch nicht besser gemacht. Die Dinge sind gleich geblieben, mit einigen wenigen Varianten. Hat er, Zola, zu gut gearbeitet für seine Nachfolger? Oder haben die Neuankömmlinge Angst vor dem Naturalismus gehabt? Vielleicht…
Heute wird der Naturalismus von Zola (mit den Mitteln, die wir haben, um an Informationen zu kommen) fast unmöglich. Man würde erst gar nicht mehr aus dem Gefängnis herauskommen, wenn man das Leben erzählen würde, wie man es kennt, mit dem eigenen Leben angefangen. Damit will ich sagen, wie man es seit zwanzig Jahren versteht. Schon Zola hat einiges Heldentum nötig gehabt, um den Menschen seiner Zeit einige heitere Gemälde der Wirklichkeit zu zeigen. Die heutige Wirklichkeit wäre niemandem erlaubt. Für uns sind daher die Symbole und die Träume! Alle Übertragungen, die das Gesetz nicht erreicht, noch nicht erreicht! Denn schließlich sind es die Symbole und die Träume, in denen wir neun Zehntel unseres Lebens verbringen, denn die neun Zehntel des eigentlichen Lebens, das heißt der Lebenslust, sind uns unbekannt oder verboten. Eines schönen Tages jedoch, werden auch die Träume verfolgt werden. Eine Diktatur steht uns bevor.
Die Stellung des Menschen inmitten seines Plunders von Gesetzen, Bräuchen, Wünschen, verknoteten, verdrängten Instinkten ist so gefährlich geworden, so künstlich, so willkürlich, so tragisch und so grotesk zur gleichen Zeit, dass die Literatur noch nie wie heute so einfach zu ersinnen war, aber noch nie so schwer zu ertragen. Wir sind überall umstellt von Ländern voller anaphylaktischer Knallköpfe; der kleinste Schock kann bei ihnen mörderische Konvulsionen ohne Ende auslösen.
Jetzt sind wir an das Ende gelangt von zwanzig Jahrhunderten hoher Zivilisation, jedoch sind in keinem Regime zwei Wörter der Wahrheit übrig geblieben. Ich meine, die marxistische Gesellschaft genau so wie unsere bürgerlichen und faschistischen Gesellschaften.
Der Mensch kann tatsächlich nicht überstehen in gleich welcher dieser vollständig brutalen und masochistischen Sozialgefüge, ohne die Gewalt einer permanenten und von Mal zu Mal massiveren Lüge, einer ständig wiederholten, rasenden, „totalitären“, wie man sie nennt. Ohne diesen Zwang würden unsere Gesellschaften in die schlimmste Anarchie zusammenbrechen. Hitler ist nicht das letzte Wort, wir werden noch epileptischere sehen, vielleicht hier bei uns. Unter solchen Bedingungen wird der Naturalismus politisch, ob er will oder nicht. Man bringt ihn zur Strecke. Wie glücklich waren jene, die das Pferd von Caligula beherrschten!
Das diktatorische Gebrüll geht hinaus zu den Unzähligen, die vom Spuk der Nahrung geplagt sind, der Monotonie der täglichen Aufgaben oder des Alkohols, die Myriaden von Verdrängten; all das ist vergipst in einem übergroßen sado-masochistischen Narzissmus, alles kommt aus Nachforschung, aus Erfahrungen und sozialer Ehrlichkeit. Man spricht mir oft von der Jugend, das Übel ist aber tiefer als die Jugend! An Jugend sehe ich tatsächlich nichts als einen aperitiven Elan, sportliche und automobilistische Begeisterung, Lust an Spektakeln, aber nichts Neues. Zumindest was die Ideen betrifft, hinken die Jungen den geschwätzigen, geldgierigen, mörderischen R.A.T.-Zertifizierten hinterher. Um in dem Punkt gerecht zu bleiben, stellen wir fest, dass die Jugend nicht mehr existiert, in dem romantischen Sinn, den wir diesem Wort noch verleihen. Ab dem Alter von zehn Jahren scheint das Schicksal des Menschen mehr oder weniger festgelegt, zumindest im Bereich der Empfindsamkeit; nach dieser Zeit besteht unser Dasein nur noch in faden, unnötigen Wiederholungen, die von Mal zu Mal unehrlicher und theatralischer werden.
Vielleicht erleiden alle „Zivilisationen“ letztendlich das gleiche Los? Unsere scheint jedenfalls in einer unheilbaren kriegerischen Psychose stecken geblieben. Wir leben nur noch für diese Art von zerstörerischer Dauerschleife. Betrachten wir die ranzigen Vorurteile und verdorbenen Nichtigkeiten, an welchen sich der absolute Fanatismus von Millionen angeblich entwickelter Individuen berauschen kann, die an den besten Schulen Europas ausgebildet wurden, sind wir durchaus befugt, uns zu fragen, ob der Todesinstinkt des Menschen in seinen Gesellschaften nicht schon längst klar über den Lebensinstinkt gesiegt hat. Deutsche, Franzosen, Chinesen, Walachen. Mit oder ohne Diktatur. Alles nur Ausreden, um den Tod zu spielen.
Emile Zola von Edouard Manet
Es wäre mir recht, alles zu erklären mit den bösartigen Verteidigungreaktionen des Kapitalismus oder der extremen Not. Aber die Dinge sind weder so einfach, noch so abwägbar. Weder die tiefe Not, noch die polizeiliche Belastung, rechtfertigen das Massenfieber der extremen, aggressiven, ekstatischen Nationalismen ganzer Länder. Natürlich kann man den von vorneherein überzeugten Parteigängern die Dinge so erklären, den gleichen, denen man vor zwölf Monaten noch erklärt hat, dass der unausweichliche Triumph des Kommunismus in Deutschland kurz bevor stünde. Aber die Lust an Kriegen und Massakern könnte als eigentlichen Ursprung nur den Appetit auf Eroberung, Macht und den Vorteil der führenden Klassen haben. Man hat alles gesagt, aktenkundig gemacht und dargelegt und es hat niemanden abgestoßen. Der heutige einhellige Sadismus stammt vor allem aus einem im Menschen tief verankerten Wunsch nach Nichtsein und vor allem in den Menschenmassen, als eine Art unwiderstehliche, verliebte, gemeinschaftliche Ungeduld auf den Tod. Mit Koketterien, versteht sich, tausend Verleugnungen: der Tropismus ist trotzdem da und er ist umso mächtiger, da er vollkommen geheim und verschwiegen ist.
So haben die Regierungen die alten Gewohnheiten ihrer finsteren Völker übernommen, sie haben sich ihnen sehr gut angepasst. In ihrer Psychologie befürchten sie jede Änderung. Sie wollen nur den Hampelmann, den Auftragskiller, das maßgeschneiderte Opfer. Liberale, Marxisten, Faschisten sind sich nur in einem einig: Soldaten! Und nicht mehr und nicht weniger. In Wirklichkeit hätten sie keine Ahnung, was zu tun wäre mit wahrhaft pazifistischen Völkern…
Wenn unsere Meister zu dieser stillschweigenden Übereinkunft gelangt sind, dann ist es vielleicht so, dass sich die menschliche Seele letztlich klar in diese selbstmörderische Form kristallisiert hat.
Man kann von einem Tier alles erlangen durch Sanftheit und Vernunft, während die großen Begeisterungen der Massen, der langanhaltende Rausch der Mengen, fast immer ausgelöst und angeregt werden durch Dummheit und Brutalität. Zola musste keineswegs den gleichen sozialen Problemen in seinem Werk gegenüber treten, vor allem unter der jetzigen despotischen Form. Der wissenschaftliche Glaube war damals noch neu und gab den Schriftstellern seiner Zeit den Eindruck, dass es Gründe gäbe ‚optimistisch‘ zu sein. Zola glaubte an die Tugend, er gedachte, den Schuldigen einen Schrecken einjagen, wollte sie aber nicht zur Verzweiflung bringen. Wir wissen heute, dass das Opfer wieder und wieder nach einem Märtyrer ruft. Haben wir in unseren heutigen Schriften – jenseits der Einfältigkeit – noch das Recht, von irgend einer Art von Vorsehung zu sprechen? Man müsste schon über einen robusten Glauben verfügen. Alles wird tragischer und unabänderlicher, je tiefer man in das Schicksal des Menschen eindringt. Hört man auf, sich den Menschen vorzustellen und beginnt man, ihn zu erleben, wie er wirklich ist… Da entdeckt man ihn. Man will es noch nicht zugeben. Wenn unsere Musik sich ins Tragische wendet, dann hat sie ihre Gründe dafür. Unsere Wörter von heute, ebenso wie unsere Musik, gehen weiter als zu Zolas Zeiten. Wir arbeiten gegenwärtig durch die Empfindsamkeit und nicht durch die Analyse, aus dem Inneren, kann man sagen. Unsere Wörter reichen bis in die Instinkte und berühren sie manchmal, aber wir haben zugleich gelernt, dass dort unsere Macht endet, und zwar für immer.
Unser eigener Coupeau trinkt nicht mehr so viel wie der Erste. Er deliriert dennoch weit mehr. Sein Delirium ist ein Großraumbüro mit dreizehn Telefonen. Er gibt der Welt Befehle. Er mag die Damen nicht. Er ist auch rechtschaffen. Man gibt ihm die höchsten Auszeichnungen.
Im Spiel des Menschen, hat sich der Todesinstinkt, der verschwiegene Instinkt, vielleicht sehr gut neben den Egoismus platziert. Er hat den Platz der Null im Roulette. Das Kasino gewinnt immer. Der Tod auch. Das Gesetz der hohen Zahlen arbeitet dafür. Das ist ein Gesetz ohne Fehl. Was wir auch unternehmen mögen, entweder so oder anders, stößt sich an ihm und wendet sich zum Hass, zum Düsteren, zum Lächerlichen. Man müsste eine äußerst sonderbare Begabung haben, um von anderem als dem Tod zu sprechen, in Zeiten wie heute, wo auf der Erde, auf den Wassern und in der Luft von sonst nichts die Rede ist. Ich weiß, dass man noch auf dem Friedhof Musette tanzen oder im Schlachthaus von der Liebe sprechen kann, der Autor von Komödien behält seine Möglichkeiten, aber es ist eine Verlegenheitslösung.
Wenn wir in der Zukunft normal sein werden, ganz so wie unsere Zivilisationen es verstehen, es wünschen und bald verlangen, dann enden wir, denke ich, damit, dass wir ganz und gar in Bösartigkeit ausbrechen. Als einzige Zerstreuung werden sie uns den Zerstörungsinstinkt lassen. Diesen kultiviert man seit der Schulzeit und pflegt ihn während der ganzen Dauer des sogenannten Lebens. Neun Zeilen Verbrechen und eine Zeile Langeweile. Wir werden alle im Chor untergehen, mit Vergnügen insgesamt, in einer Welt, die wir fünfzig Jahrhunderte in den Stacheldraht der Einschränkungen und der Angst eingefasst haben.
Vielleicht ist es einfach Zeit, Zola gebührend zu ehren, am Vorabend eines riesigen Zusammenbruchs, eines weiteren. Es kann nicht mehr darum gehen, ihn nachzuahmen oder ihm zu folgen. Wir haben offensichtlich weder die Gabe, noch die Kraft, noch den Glauben, die nötig sind, um die großen Seelenbewegungen zu erschaffen. Hätte er denn seinerseits die Kraft gehabt, über uns zu urteilen? Seit er gegangen ist, haben wir ganz schön seltsame Dinge über die Seelen erfahren.
Der Menschenweg ist eine Einbahnstraße, der Tod hält Einzug in alle Cafés, es ist ein Schafkopfspiel „aufs Blut“, das uns anzieht und nicht mehr loslässt.
Das Werk von Zola ist für uns in mancherlei Hinsicht wie das Werk von Pasteur, so dicht und immer noch so lebendig, in zwei oder drei Punkten grundlegend. Bei diesen beiden Männern finden wir, transponiert, die gleiche, peinlich genaue Technik der Schöpfung, die gleiche Sorge um experimentelle Aufrichtigkeit und vor allem diese verblüffende Fähigkeit der Demonstration, die bei Zola episch wurde. Es brauchte viel Liberalismus, um die Dreyfus-Affäre zu ertragen. Wir sind von diesen Zeiten weit weg, trotz aller Akademien.
Manchen Traditionen folgend, sollte ich diese kleine Arbeit vielleicht mit einem Ton des guten Willens und der Zuversicht abschließen. Aber was können wir vom Naturalismus erhoffen in den Bedingungen, die uns umgeben? Alles und nichts. Eher nichts, da die geistigen Konflikte die Masse von heute in zu größer Nähe zu sehr ärgern, um länger toleriert zu werden. Der Zweifel verschwindet gerade aus dieser Welt. Man bringt ihn zeitgleich um, mit den Menschen, die ihn in sich tragen. Das ist sicherer.
Wenn ich in meinem Umfeld das Wort „Geist“ höre, spucke ich auf den Boden! Das teilte uns einer aktueller Diktator mit, der genau dafür angehimmelt wird. Man kann sich nur fragen, was dieser Unter-Gorilla tun würde, wenn man ihm vom „Naturalismus“ spräche.
Seit Zola ist der Albtraum, der den Menschen umgab, nicht nur genau, sondern auch offiziell geworden. Ebenso wie unsere „Götter“ mehr Macht erlangen, werden sie auch grausamer, eifersüchtiger und dümmer. Sie organisieren sich. Was soll man ihnen sagen? Man kann sich nicht mehr verständigen.
Die naturalistische Schule wird ihre Aufgabe erledigt haben, denke ich, sobald sie in allen Ländern der Welt verboten sein wird.
Das ist ihr Schicksal.
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