ZUR ÜBERLINGER LOKAL POLITIK

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Aus welcher Motivation heraus lassen sich zwei Lokalpolitiker mit jungen israelischen und willkommenen Gästen vor einer Jugendherberge* abbilden, die als Namensträger jene des jüdischen Philosophen Martin Bubers trägt und unmittelbar vor den Toren jenes ortsansässigen Betriebes anschließt, welcher mit Israel Rüstungsgeschäfte unterhält?

Menschen aus einem Land in dem junge Erwachsene ihr M-16 Schnellfeuergewehr so selbstverständlich und demonstrativ umgürtet haben wie hier die jungen Leute ihren i Pod.

* Seit 35 Jahren soll sie lt. Stiftung der deutsch – jüdischen Begegnung dienen. Warum erst jetzt in einer missverständlichen Weise? Nicht jeder Israeli ist Jude und nicht jede deutsch-jüdische Begegnung hat etwas mit Israel zu tun.

Statt sich aber über Militarismus auseinander zu setzten, also Pazifismus zu bemühen, oder gar die Funktion der IDF (Israelischen Defense Forces) als widerrechtliche brutale Besatzungsmacht* in den besetzten Gebieten näher zu beleuchten, wird hier der „bubersche Dialog“ um einen „Vergleich des Militärs in beiden Ländern“** geführt!

*s.a. „Breaking the silence“ | Organisation von Soldaten der israelischen Armee, die ihren Dienst in den besetzten Gebieten verweigern und hierüber publizieren.
** Zitat Südkurier vom 31.08.2010.

Heute soll also Buber als Hintergrundlegitimation in Überlingen am Bodensee dienen, für einen Dialog der die militärische Stärke zweier Länder thematisiert, zwischen Deutschland, welches die jüdische Katastrophe und Israel, welches die Katastrophe der Palästinenser verursacht hat?

Mehr als Hintergrundrauschen ist da nicht zu vernehmen. Was sich allerdings bei genügender Suche auffinden lässt sind die dunkelsten Teilchen kollektiver Geschichte, übermalt mit der Frohlockung des „heiligen Landes“ hin zu Tochter Zion.

Es mag purer Zufall sein dass ein knappes Jahr vorher der israelischer Generalstabschef, den deutsche Anwälte vergeblich „Dingfest“ machen wollten, als „Kurzzeitgast“ in Überlingen weilte.

Dort, wo auf jüdischen Kulturtagen kurze Zeit später die Flagge eines Apartheit Staates*, der auf dem Prinzip: Ein Volk, eine Religion, ein Land beruht, in einer ortsansässigen Bank inszeniert wird. Hatte man vergessen (die deutsche) Flagge zu zeigen, sprich Verantwortung zu praktizieren?

*Als solchen bezeichnen viele israelische Bürger ihren eigenen Staat Israel schon lange und nicht nur israelische Historiker, Intellektuelle und Wissenschaftler.

„Wenn die enormen Zerstörungen im Gazastreifen bekannt werden, kann ich nicht mehr als Tourist nach Amsterdam gehen, sondern nur noch um vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag zu erscheinen.“

anonymer iraelischer Minister | Quelle: Der Semit | Buchankündigung: Gaza, Mensch bleiben

Oder waren es hier die Stadthalter der Betriebe am Ortsrand die eitel Sonnenschein verbreiten (sollen) im Rahmen einer Israel solidarischen Veranstaltung, zur Hebung deutscher Befindlichkeit und Identität, die in der Aussage gipfelt: „Wir wollen sie in die Welt Israels entführen“. Südkurier vom 06.09.2008

Wer will wen wohin und warum auch noch entführen?

Diese Worte des Bankdirektors mögen nett gemeint sein, spiegeln aber auf fatale Weise sprichwörtlich deren unbewussten Verführungscharakter wieder. Als Kenner „seiner“ Hypotheken erweist er sich als erschreckend Unwissender um die Hypotheken, welche sich der Staat Israel nicht nur mit der völkerrechtswidrigen „Besiedelung“ und Besatzung des sog. Westjordanlandes aufgebürdet hat. Oder gibt es etwa genehme und weniger genehme Schulden?

Eine Spendenübergabe für jüdische Kulturtage und eine KZ Gedenkstätte vor einer israelischen Staatsflagge in einer Bank eines Rüstungsbetrieb Standortes in Deutschland zu inszenieren, ist fast so, als frage man sich verwundert, warum „den Juden“ das ihnen lt. Bibel zustehende heilige Land (Erez Israel) immer noch nicht ganz gehöre. Schließlich ist dieser „Scheck“, via Grundbucheintrag in der Bibel ja schon lange genug ausgestellt.

„Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt.“

Johannes Tetzel, 1517 Zum Ablasshandel

Nichtsahnend oder wissen wollend, dass genau dieses Verhalten dem Staate Israel eher zum Schaden gereichen kann als eine klare und auf Fakten basierenden Kritik. Wenn das deutsche Staatsräson sein soll, wird man jene in Zukunft möglicherweise als zum Schaden für Israel begreifen. Denn was an Millionen von jüdischen Menschen verbrochen wurde, lässt sich in keiner Weise mehr gut machen. Schon gar nicht mit einer geheuchelten Freundschaft in problematischer Beziehung.

Geschichte passiert nicht einfach, sie wird von Menschen „gemacht“. So wie palästinensische Siedlungen und Dörfer nicht einfach von selbst verschwunden sind, bevor man an ihrer Stelle israelische Parks und Städtchen baute.* Alt -Neu. Wird auf jene fatale Weise unter dem Preis der Auslöschung der Erinnerung an die Anderen, hier die Palästinenser, zeitgenössische Geschichte mit jüdischem Leben in Überlingen „überbaut“?

Verdrängung unter dem Motto „Erinnerung“!? Völkerverständigung unter dem Ausschluss von bestimmten Opfern?

*Jeff Halper | Ein Israeli in Palästina S. 27/28/39

Es ist zu wünschen, dass zu den „jüdischen Spuren in Überlingen“ auch jene jahrelange Rüstungsgeschäftlichen Verbindungen mit Israel thematisiert werden, wie auch jener Besuch des höchsten israelischen, jüdischen Militärs hier in unserer Stadt.

Wenige Monate nach jenem „einmaligen Ereignis“ welches aller bisherigen Kriegshistorie spottet, da unter perverser medialer Aufbereitung, vor unseren Augen der count down der Menschlichkeit herunter gezählt wurde. Der Gaza Krieg 2008/09

Transparenz ist notwendig um zu verstehen, wie es zu der Beschiessung von Israelischem Gebiet durch selbstgebaute Raketen gekommen ist. Anlässe, die Israel auch mit seinem Verhalten und seiner Besatzungs- und Diskriminierungspolitik selbst herbei geführt hat.

„… 43 Jahre Militärdiktatur über ein anderes Volk. Die sicherheitsmäßigen Argumente (Israels) erweisen sich als harmlos gegenüber dem Gegenargument: dass die Sicherheitslage sich von Vertreibung, der Beherrschung von Naturresourcen und den über die Lebenswelten fortwährend verhängten Restriktionen ableitet.“

Yitzhak Laor, israelischer Autor und Publizist in „Was die Israelis nicht wissen wollen“ in Haaretz 12.5.2010

Wer weiß, dass die Menschen in den besetzten Gebieten des Westjordanlandes bzw. der sog. palästinensischen Autonomiegebiete hierzulande als „Westbank“ bezeichnet für ihr Wasser doppelt soviel zahlen müssen wie illegal dort siedelnde radikale jüdische Siedler, die in luxuriösen Swimmingpools ihrer Siedlungsburgen baden und viermal mehr an Wasser verbrauchen. Quelle: B’tselem u.a.

Wer weiß, dass der Staat Israel in vielen Fällen der palästinensischen Bevölkerung dort regelrecht das Wasser abgräbt, fragt sich, unter welchem Aspekt der Dialog mit den israelischen Jugendlichen um die „Wasserproblemaktik Israels“ in Überlingen an der Bodenseewasserversorgung geführt wurde.

s.a. Südkurier vom 31.08.2010

Wer zudem weiß, dass Deutschland, hier der Überlinger Betrieb der Firma Diehl und Israel, gute Beziehungen im Rüstungsgeschäft pflegen und möglicher Weise gemeinsam entwickelte Waffen, also auch deutsche Waffen und Technik im militärischen Nahostkonflikt durch die Israelische Armee eingesetzt werden, dem müsste eigentlich ein Licht aufgehen. Weiß man das bisher nicht, oder beläßt man es beim unangenehm Ahnungsvollen?

Oder haben wir vergessen, dass der Schatten der jüngeren deutschen Geschichte im sogenannten Nahostfriedensprozess „behandelt“ wird und im Moment allerdings durch unser Schweigen noch größer zu werden scheint?

Was verschweigt diese Art des medial gelieferten „Dialoges“ einer Begegnung, der laut Buber gerade den Anderen, den „Fremden“ miteinbeziehen muss, hier also die unter israelischer unrechtmäßiger Besatzung leidende Bevölkerung, übermalt diesen vorgeblichen Dialog sogar und aus welchen Gründen?

„Die Befreiung liegt für uns nicht im Verdrängen, sondern in der Erinnerung, …. dabei dürfe nicht übersehen werden, dass auch heute in anderen Teilen der Welt die Kriege und Menschenrechtsverletzungen weitergingen und viele Opfer forderten.“

Max Mannheimer (Moshe Ben Jakov) | in der Süddeutschen Zeitung 02.05.2010

Welches Maß an Verdrängung aktueller Geschichte unter dem Aspekt des „Jüdischen“ und „Erinnerungsarbeit“ sind Politiker gewillt noch immer zu lancieren?

„Im Gegensatz zur rassistischen Exklusivität des politischen Zionismus war für den humanistischen Zionismus von Martin Buber ein gemeinsamer jüdisch-palästinensischer Staat das Ideal, weshalb er sich für die Rückkehr der Flüchtlinge engagierte. Heute gehen einige progressive Juden so weit, daß sie aus Protest ihr eigenes »ungewolltes« Rückkehrrecht nach Israel ablehnen. Im August 2002 veröffentlichten sie im britischen Guardian einen gemeinsamen Brief, in dem sie den Verzicht begründen: »Wir betrachten es als moralisch falsch, daß dieser rechtliche Anspruch uns gegeben sein sollte, während genau diejenigen, die das größte Recht auf eine echte ›Rückkehr‹ haben sollten, weil sie zur Flucht gezwungen oder terrorisiert waren, davon ausgeschlossen sind.“

Aus: AG Friedensforschung | Universität Kassel | „Das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge

Was Notwendig ist:

Freundschaftliche Verbundenheit zu Israel und den Palästinensern und klare Kritik, da wo es offensichtlich angezeigt ist.

Die Duldung von Menschenrechtsverletzungen, die Nicht Anerkennung von Uno Resolutionen und internationalem Recht hilft Israel nicht! Es schadet ihm bis hin zur Bedrohung seiner eigenen Existenz, entsprechender Weise in jenem Ausmasse wie Israel die Existenz der Palästinenser seit seiner Gründung bedroht.

Wenn 26 europäische „Elder Statesmen“, darunter unser ehemaliger Bundespräsident Richard von Weizsäcker, Altkanzler Helmut Schmidt, Javier Solana, Romano Prodi u.v.a. die Besatzungspolitik Israels scharf verurteilen und die Europäische Gemeinschaft zu Sanktionen aufrufen (im November 2010) sollte dies auch bis nach Überlingen am Bodensee durchgedrungen sein. Quelle:

Andernfalls könnten die „jüdischen Spuren in Überlingen“ zur Plattitüde verkommen. Ein fragwürdiges und hilfloses Ratespiel am Rande des Provinziellen mit irreführender Tendenz, jenseits der Zeit aktuellen Geschichte. Ein Melodram der Ängstlichkeit vor jenen Hightech Manager die sich in allgemeiner Landschaftspflege ergehen.

Warum hält manch einer auf einmal so viel vom „Jüdischen“ und „Israelischen“ in Überlingen. Zumindest das „Jüdische“ ein Abstraktum für jene die es holpernd in den Mund nehmen auf ihrem Schleichweg hin zur Ergötzung an Zion. Auf rein jüdischen Autobahnen der Okupationsinszenierung Israels vergessen Jene die sich im „heiligen Land“ wähnen, ihre Eintrittskarte zur Erinnerung an die Folgen ihrer eigenen einspurigen Gedächtnisarbeit. Oder wollen sie diese erst gar nicht lösen?

Was will man hier nicht sehen? Oder was sieht man nur ausschließlicher Weise und warum?

„Jüdische Geschichte in Überlingen“ als Nebelbombe zur Verschleierung der Rüstungsgeschäfte mit Israel? Die Besatzungsmacht in der Retouche am Bodensee zur Reinwaschnung alter Schuld? Ritualmord am Sohn der Erinnerung? Er hatte zwei Namen: „Nachdenken“ und „ungeteilte Erinnerung“. Der diese Losung vergisst, schafft neue Schuld.

Spekulation, verkehrte Welt, Fiktion oder alles halb so schlimm?

Die Antwort eines Israelis und Juden.

„Es wird zudem, nicht wenige jüdische Israelis geben, die auf eine geborgt – angeeignete „jüdische“ Identität von Deutschen mit einigem neuralgischen Argwohn reagieren dürften; man fühlt sich unangenehm berührt, wenn Deutsche übertrieben auf „Jüdisches“ abfahren. Assoziationen kommen auf.“

Prof. Moshe Zuckermann, israelischer Soziologe und Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv | Leitung des Institut für Deutsche Geschichte an der Universität Tel Aviv 2000-2005 in:“ Antisemit, ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument“ S.158

Israels Politik betreffs der von ihm seit über 40 Jahren besetzten Gebiete, sein Narrativ des: „Uns als auserwähltes Volk Gottes gehört das gelobte Land“ vorbehaltlos zu unterstützen, spiegelt im Grunde jenen dunkelsten Teil unserer eigenen Geschichte, in dem das Ressentiment dem Anderen, dem Fremden gegenüber aufersteht wie ein Phönix aus seiner Asche. Denn der Andere hat noch nie zum „Auserwählten“ gepasst, er war mindestens Störfaktor.

Der typische Vorgang des xenophobischen, der das Andere und den Anderen entweder gerne so hätte, dass er/es sich ihm gleiche oder wenn nicht, dann eben diesen gerne los werden will.

So lange dies nicht der Fall ist erfolgt Leugnung der Fakten in anbiedernder Weise und Tabuisierung aktueller Geschichte.