Wie oft habe ich schon Mütter mit Kleinkindern im Wald gesehen, die es nicht fertig bringen, dass ihr Kind die Mütze aufbehält. „Nein, du wirfst sie jetzt nicht in den …!“ Platsch.
Artig und Unartig
Die Mütze ist schon längst im Fluss gelandet. Wie oft hat die Mutter an ihrem ‚Ton‘ geübt, damit das Kind glaubt, dass sie es ernst meint. Und Oma Gabi weiß natürlich, dass zu ihrer Zeit die Kinder viel artiger waren, weil die ganze Erziehung heute falsch ist und so weiter! Es ist seltsam, aber obwohl Masken weit unangenehmer sind als Mützen, habe ich solche Probleme noch nie mit Masken beobachtet. Auch sehr kleine Kinder und auch die ganze ‚verzogene Jugend‘ sind unglaublich diszipliniert. Irgendwie wurde der magische Ton gefunden, der zeigt, dass es diesmal ernst gemeint ist.
„…es ist ernst, nehmen sie es auch ernst…“
Als Kind wusste ich gar nicht, dass ich glaubte, man dürfe im Fernsehen nicht lügen, bis sich folgende Situation ereignet hat. Ich sah eine Werbung über einen unglaublich fantastischen Staubsauger und versuchte daraufhin meinen Vater zu überreden, dass wir ihn kaufen. Er war genervt. Ich erklärte die so fantastischen Eigenschaften des Geräts und er behauptete, das wäre alles gelogen.
Ich sagte: „Aber im Fernsehen darf man nicht lügen!“
„Doch!“ An dieses Doch erinnere ich mich am besten, obwohl mein Vater noch hinzufügte, dass man vor allem in der Werbung lügen darf. Die Tagesschau kann er nicht gemeint haben, denn diese inspirierte in ihm immer einen feierlichen Ernst. Hingegen sagten die Erwachsenen in meinem Umfeld, dass die Bildzeitung oft lügt. Das sind Differenzierungen, die von der Bildungsschicht abhängen.
Ich vermute, dass mehrere Kinder so eine unausgesprochene Idee in sich haben. 1 Und das erklärt auch Beobachtungen, die man heute machen kann. Wenn die Mutter zum Beispiel Impfungen für schädlich hält und der vierzehnjährige Sohn stöhnt: „Mama, du mit deinen Verschwörungstheorien!“
Kinder wissen ganz klar, dass Kinder manchmal lügen und kennen mehrere Beispiele. Kinder merken, dass Erwachsene manchmal lügen, jedoch ‚viel seltener‘. Aber man kann doch nicht in ein Studio gehen mit so einer schönen Frisur, so schöner Kleidung und einfach vor der Kamera lügen?
Man so einen Irrglauben Jahrzehntelang für völlig harmlos und sogar richtig halten, weil die Regierung ja intelligenter sei, als das Volk. Aber selbst bei der allerintelligentesten Regierung, die überhaupt denkbar ist, sind solche mentalen und emotionalen Gewohnheiten der Grund, warum Szenen, wie die Folgende möglich werden (sobald die Regierung ‚aus irgendwelchen Gründen unehrlich geworden ist‘):
(In der Schule:)
Lehrerin: Ja, es gibt natürlich Menschen, die glauben, Impfungen wären gefährlich. Das sind Verschwörungstheorien. Man muss für solche Menschen auch Verständnis haben, das kommt aus einer ganz tiefen Verunsicherung, die mit ganz anderen Sachen was zu tun hat. Wir kennen schließlich alle Menschen, die solche Theorien haben, oder? Habt ihr in eurer Familie auch jemanden? Kennt ihr so ein Beispiel? Hans? (Pause.) ‚Merkel ist eine Volksverräterin‘, hm, sagt das eher deine Mutter oder dein Vater?
Bilder gegen Wortfelder
„Man könnte die Geistlosigkeit und Langweiligkeit der Schriften der Alltagsköpfe daraus ableiten, dass sie immer nur mit halbem Bewusstsein reden, nämlich den Sinn ihrer eigenen Worte nicht selbst eigentlich verstehen, da solche bei ihnen ein Erlerntes und fertig Aufgenommenes sind. Statt deutlich ausgeprägter Gedanken findet man bei ihnen ein unbestimmtes dunkles Wortgewebe, gangbare Redensarten, abgenutzte Wendungen und Modeausdrücke.“ – Über Schriftstellerei und Stil, Arthur Schopenhauer
Als ‚Wortfelder‘ bezeichne ich das halbbewusste, ‚intellektuelle‘ Verfahren, auf Feld A zu stehen und der Neigung nachzugeben, auf Feld B zu gehen, weil es allgemeine Zustimmung mit sich bringt, da diese Bewegung jedem bekannt vorkommt und daher richtig scheint. Flaubert nannte das ‚idées reçues‘. Sein ‚Wörterbuch‘ könnte man heute erweitern nach der Art:
Angela Merkel – Mutti. Kanzlerin der Herzen. Macht mit den Händen gerne eine Merkelraute und bringt die Leute damit zum Lachen. (Hier passt eine Bemerkung über alberne Verschwörungstheorien.) Ich habe sie ja nicht gewählt. Wer gegen sie ist, ist neidisch auf erfolgreiche Frauen.
Bart – Symbol der Kraft. Zu viel Bartwuchs führt zu Haarausfall. Nützlich, um die Krawatte zu schonen.
Bibel – Das älteste Buch der Welt.
CDU – Synonym für Demokratie – Ich teile ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass die CDU ihre Meinung praktisch umsetzen darf. Wem es bei uns nicht gefällt, der soll doch nach China gehen.
China – Man kann sagen was man will, aber in China hat man Corona in den Griff bekommen. Wenn die deutschen Arbeitnehmer so gierig sind, gehen die Arbeitnehmer mit ihren Fabriken eben nach China.
Coronamaßnahmen – Dienen dem Schutz der Öffentlichkeit. Sie einzuhalten oder übertreffen, bedeutet, sozial und liebenswert zu sein. Gegen sie zu sein ist asozial. Coronaleugnung ist (praktisch) das selbe wie Holocaustleugnung. (Diesen letzten Satz kann man auch schreien, wenn man in leidenschaftlicher Stimmung ist.)
Diogenes – Ich suche einen Menschen! – Geh mir aus der Sonne!
Es gibt sehr viele Menschen, die sich nur auf diesen Wortfeldern bewegen. Zum Teil muss das in ihrer Natur liegen. Remy de Gourmont sagt, 2 dass es eigentlich zwei Haupt-Menschentypen gibt. Die Visuellen und die Emotionalen. Die ganze Wahrnehmung und das Gedächtnis dieser beiden Arten ist sehr verschieden. Der Visuelle liest zum Beispiel ein Gedicht, indem er die Worte zunächst in Bilder übersetzt und vermutlich erinnert er sich am ehesten an diese. Will er das Gehörte wiedergeben übersetzt er wieder die Bilder in Worte zurück, was zur Folge hat, dass die Worte immer wieder andere sein mögen und dass dadurch seltsame Wortkombinationen entstehen können. Der Emotionale erinnert sich an sein Gefühl und wenn ihm der Ausdruck ‚ein wunderschöner Frühlingsmorgen‘ passend vorkommt, dann hat er keinen Grund, den Ausdruck zu ändern und er wiederholt ihn beliebig oft. Auch bezweifelt er nicht, dass sein Leser durch diesen Ausdruck an sein ursprünglich gefühltes Gefühl kommen muss. Der Emotionale ist laut de Gourmont kein Künstler. Diese beiden Menschentypen sind nicht in der Lage, einander zu verstehen und durch die ganze Literaturgeschichte hindurch gibt es einen mal offenen, mal verborgenen Krieg zwischen ihnen.
Namen sind keine Dinge
Sollte ich jemals einem Hegelianer begegnen, der mir freundlich und offen ansprechbar erscheint, würde ich ihm wirklich gerne drei Fragen stellen.
- Wie würdest du das Höhlengleichnis Platons 3 erklären und interpretieren. (Nur die Analogie, also die Bildbeschreibung.)
- Direkt auf das Höhlengleichnis folgt Platons (‚Sokrates‘) Interpretation der bildlichen Geschichte. Ist das eine gute Interpretation? Werden in dieser Interpretation alle Elemente berücksichtigt, die unmittelbar vorher beschrieben wurden? Wozu braucht man so eine Analogie überhaupt, hätte die Interpretation nicht ausgereicht?
- Wie hätte (oder hat) Hegel das Höhlengleichnis interpretiert?
Es gibt irgendeine grundsätzliche Widersprüchlichkeit bei Platon, die ihn für mich erst so interessant und enigmatisch macht. Immer wieder suche ich nach Erklärungen dafür und das ist auch die Ursache dafür, dass ich mich so lange mit ihm beschäftigen kann.
Allen Upward nimmt Platon folgendermaßen wahr (ich übersetze aus The New Word):
„Es gibt zwei verschiedene Platons; einmal den Gefährten des Sokrates, der mit seinem Meister auf dem Marktplatz geht und uns wie auf einem Bühnenspiel zeigt, wie dieser große Wahrheitsseher seinen Weg durch ausgeklügelte Wortnetze durchstach; der andere ist der Lehrer der Akademie, der seine eigenen Netze webte und sie mit dem Namen des Meisters dekorierte. Dem zweiten Platon verdanken wir die Doktrin der Ideen. Ich möchte mal sehen, ob ich sie in Worten ausdrücken kann, die so schlicht sind wie die von Sokrates. Die erste Doktrin des Platon, oder eher seines Meisters Sokrates, die den frühen Dialogen zugrundeliegende Wahrheit und die Wahrheit zu der sie führen, auch, wenn sie nicht offen erklärt wird, ist folgende. Wir geben unseren Vorlieben und Abneigungen Ausdruck durch Wörter wie schön, widerwärtig, gut und böse. Wenn wir solche Wörter etwas anders schreiben, wie Schönheit, Widerwärtigkeit, das Gute und das Böse, dann verändern wir nicht ihre Natur, weil wir ihre Rechtschreibung geändert haben. Sie haben nicht aufgehört, die Namen unserer eigenen Gefühle zu sein, sie sind nicht etwas anderes geworden, nur weil wir sie als Nomen verwenden möchten und nicht als Adjektive. Die Worte in ihrer neuen Gestalt sind Kurzschrift-Wörter und wenn wir sie verwenden können wir das, was wir sagen schneller sagen. Mit ‚das Gute‘ meinen wir das, was alle Menschen gut finden oder eher das, von dem wir glauben, dass alle Menschen es finden sollten, – denn nicht alle Menschen verehren den gleichen Gott.
Die Doktrin des zweiten Platon ist die erste Doktrin rückwärts gelesen, wie die Teufelsanbeter früher das Vaterunser gelesen haben. Sie beinhaltet, dass die Adjektive von den Nomen kommen und nicht die Nomen von den Adjektiven. Schönheit und Ekel, das Gute und Böse seien nicht Namen der Gedanken in uns, sondern Gedanken außerhalb von uns; vielleicht die Gedanken eines unendlichen Denkers, von dem unsere Gedanken kopiert sind.“
Ich weiß nicht, ob sich das Fernsehprogramm seit Corona geändert hat. Vor zehn Jahren nannte man Sendungen, die tagsüber ausgestrahlt wurden ‚Hartz IV TV‘, weil arbeitende Menschen um die Uhrzeit nicht zu Hause waren und weil es sich dabei wohl um Reality- Sendungen handelte, die das langweilige Leben von Arbeitslosen thematisierten. Angestellte und Schüler haben sich abfällig über Arbeitslose geäußert und verschiedene Einzelheiten aus diesen Sendungen aufgezählt. Machte man sie aber darauf aufmerksam, dass die Geschichten und Dialoge gescripted (geschrieben) sind, sich also durchaus nicht so im Nachbarhaus zugetragen haben, dann reagierten sie ohne Überraschung, jedoch nicht, weil sie diese Sichtsweise kannten, 4 sondern weil dieser Einwand als diffuse Wolke in ihr Bewusstsein getreten ist, ohne etwas dort zu verändern.
Sie sind wirklich genau so, wie die Gefangenen in Platons Höhlengleichnis, die die Schatten für die ursprünglichen Erscheinungen halten und nicht verstehen können, was das bedeutet, dass andere Menschen absichtlich diese Schatten erzeugen, damit sie sich auf eine bestimmte Art äußeren. Sie erkennen nicht, was das bedeutet und was das für sie bedeuten sollte, wenn sie sich Erkenntnis wünschen. Diese wünschen sie aber nicht, sie wollen Unterhaltung. „Ich schaue das ja nur Entspannung“, habe ich dann gehört. Und ich erwiderte: „Umso schlimmer,wenn du dabei noch entspannt bist, dann produziert dein Gehirn Alpha-Wellen 5 und du kannst manipuliert werden, ohne dass du es merkst.“
Früher dachte ich, man müsste alle Menschen zur Platonlektüre zwingen, damit ihnen einige Probleme klar werden. Das war ein Irrtum, denke ich jetzt, denn sie würden das, was Platon zu bieten hat, sein ‚Dynamit‘, vermutlich nicht erkennen, obwohl sie alle Worte lesen und verstehen.
Wenn in einem platonischen Dialog (Die Republik) von Gerechtigkeit die Rede ist und ein Wortführer diesen aus Sicht der Götter erklärt und wie sich die Sterblichen folglich an göttlichen Gesetzen orientieren, dann kann man es nach einer Weile akzeptieren. Aber plötzlich meint dieser gleiche Wortführer: Aber gut, seien wir ehrlich, wer glaubt schon wirklich an Götter? Die sind ja nur Sinnbilder für …
Ideen? Und er zernichtet auf einen Schlag alle seine Behauptungen, ohne es zuzugeben! Sie sind ja nur Ableitungen aus Ableitungen. Oder er leitet Gerechtigkeit von der Idee der Gerechtigkeit ab, was so ist wie 1 von 1 abzuleiten und keinen Schritt weiter zu kommen.
Als 2008 die Banken- oder Wirtschaftskrise anfing, sah ich eine Gruppe von Klimademonstranten oder Atomkraftgegnern auf der Straße. Als ich zur Arbeit kam, erzählte ich das und sagte in die Richtung von Kollegen: „Sie sollten lieber gegen die Krise demonstrieren!“ Da drehte sich eine Kollegin zu mir um und sagte zurechtweisend, wie jemand, der gerade eine große Dummheit vernommen hat: „Wie willst du gegen eine Krise demonstrieren?“
Damals war diese Art von Dummheit noch recht ungewöhnlich, heute stehen den braven Menschen die Haare zu Berge, wenn sie an die Covidioten denken, die gegen eine Krise demonstrieren!
Und wenn es hier bei uns irgend eine Wortgläubigkeit gibt, dann wird das unergründliche Gründe haben…
Laute Stimme aus dem Himmel:
Im Anfang war das Wort!
Heutiger Journalismus
Ich halte es für unnötig, von ‚Lügenpresse‘ zu sprechen, es impliziert zu sehr, dass das Gegenteil von dem wahr sein muss, was in der Zeitung steht. Aber das Unwahre steht nicht unbedingt in einem direkten (oder gegenteiligen) Verhältnis zum Wahren. Nur ein guter Schütze kann ins Schwarze treffen, ein schlechter Schütze trifft irgendwo hin. Dieses Irgendwo kann überall sein, nur eben nicht im Zentrum der Zielscheibe. Folglich kann man von dem Irgendwo nichts Genaues (oder Gegenteiliges) ableiten.
„Eine große Menge schlechter Schriftsteller lebt allein von der Narrheit des Publikums, nichts lesen zu wollen, als was heute gedruckt ist: — die Journalisten. Treffend benannt! Verdeutscht würde es heißen: Tagelöhner.“
– Über Schriftstellerei und Stil, Arthur Schopenhauer
Die englische Sprache unterwandert die deutsche Sprache…
… und zwar weniger durch Anglizismen als durch (wörtliche) Übersetzungen ins Deutsche. Eines der besten Beispiele dafür ist, wenn Angela Merkel von den ‚Gründungsvätern der Bundesrepublik Deutschland‘ spricht. In den USA spricht man von den ‚Founding Fathers‘ ebenso zärtlich wie manche Russen von ihren Kirchenpatriarchen. Aber Deutschland hat einen Krieg verloren und wurde von seinen Gegnern unterworfen, diese Formulierung ist ein wirklicher Beweis dafür. Und Merkel hat diesen Ausdruck nicht als Erste verwendet. Auch Helmut Kohl sprach von Franz Josef Strauss in den achtziger Jahren als einem Gründungsvater der BRD.
Die Amerikaner haben eine sehr penetrante Art, in Floskeln zu sprechen und das hat in Deutschland gefälligst auch zu sein. Wenn also drüben gesagt wird: ‚We have to jump-start the economy‘, beschließt ein Think Tank mit einem Übersetzungsbüro, dass in Deutschland jeder sagen muss ‚Wir müssen die Wirtschaft ankurbeln‘. Chefübersetzer: Und es steht keinem frei, zu sagen, dass die Wirtschaft augepäppelt, animiert, repariert, gepflegt, geflickt, aufgeheitert, losgetreten, hochgeschossen, neu gestartet, aufgepeitscht oder sonst etwas wird. Nein! Wenn wir Kurbel sagen, dann müssen es alle sagen! Übersetzer 1: Aber… ist ankurbeln nicht etwas anachronistisch im Zusammenhang mit der modernen Weltwirtschaft?
Chefübersetzer: Nein! Es ist nostalgisch – in Amerika würden wir sagen ‚vintage‘ – ein wenig sentimental, aber handwerklich und tatkräftig! Und wenn man die Augen schließt, kann man jemanden kurbeln sehen. Genau das richtige Wort für unsere einfachen Köpfe in Deutschland!
Dieser Kreuzzug des Englischen ist in allen Sprachen zu sehen und kommt durch Übersetzungen und Filmsynchronisationen. Wenn man in Amerika sagt ‚Empower yourself‘, dann sagt der moderne Spanier, der seine Motivation ankurbeln möchte: ‚Empoderate‘.
Es ist aber einfach ein Unterschied, ob ein Text übersetzt ist oder in der eigenen Sprache selbst ersonnen wurde. Ich vermute, dass die Diskussion im Zusammenhang mit Paragraph 130 und dem Wort ‚leugnen‘ so entstanden ist. Ein Amerikaner schreibt dem Übersetzungsbüro das Wort ‚deny‘ oder ‚denial‘. To deny heißt eigentlich nur bestreiten, es ist neutral. Leugnen ist emotionaler, aber das Übersetzungsbüro wird erklärend dazu gesagt haben: Leugnen bedeutet manchmal nur ‚deny‘. Zum Beispiel. ‚Ich dachte, er kennt sie?‘ ‚Nein, er leugnet das.‘ Aber man kann sagen, dass ‚leugnen‘ zu ungefähr 70% bedeutet, dass die Person etwas fälschlich bestreitet. Amerikaner: 70 %? Das ist gut! Übersetzer: Aber wenn die Deutschen eine Diskussion anfangen?
Amerikaner: Dann ist das auch gut! Wir haben ja nur gesagt 70% Wahrscheinlichkeit. Toll, was für eine genaue Sprache, man muss diese Deutschen irgendwie bewundern!
(Das mit den 70% hat der Übersetzer natürlich spontan erfunden, weil er weiß, wie er mit seinem Chef sprechen muss. ‚Verleugnen‘ wäre übrigens eine andere Geschichte, siehe das älteste Buch der Welt.)
Falsche Zuschreiben durch Adjektive
Vor 2008 herrschte in deutschen Zeitungen ein sehr kalter Ton, ‚Hart aber fair‘ sozusagen. Personen, die von Staatsgeldern lebten waren ‚Schmarotzer‘, die es sich in der ’sozialen Hängematte‘ gemütlich gemacht hatten. Die Finanzkrise aber stimmte die Zeitungen menschlicher, zwar weniger in Bezug auf Menschen, aber auf ’notleidende Kredite‘, die zwingend Staatshilfe benötigten! Nach der Atomkatastrophe in Fukushima wurde der Reaktor 3 auch öfters zärtlich als ‚Sorgenkind‘ bezeichnet. Und in Fragen des Datenschutzes geht es immer noch um ’sensible Daten‘.
Adjektive, die das Nomen tatsächlich nicht näher beschreiben, muss man sich abgewöhnen.
„Verwende kein überflüssiges Wort, kein Adjektiv, das nicht etwas enthüllt.“ 6
Hier eine Wendung, die wörtlich aus dem Englischen stammt: harte Fakten. Fakten ist ein anderes Wort für Tatsachen, es ist etwas modischer, hat eine Silbe weniger und spiegelt die ’neue Sachlichkeit‘, die aus Amerika zu uns herüber geschwappt ist. Eine Sachlichkeit, die oft mit Zahlen und Statistiken zu tun hat, besonders, wenn man von ‚harten Fakten‘ spricht. Aber beschreibt das Adjektiv das Nomen hier näher? ‚Hart‘ ist in irgendeinem übertragenen Sinne gemeint und wird beim Hörer so ankommen, wie dessen Voreinstellungen geartet sind – er denkt an einen Geschäftsmann oder einen Cowboy oder einen Wissenschaftler.
Wäre der Fakt in Wirklichkeit ‚hart‘ würde man ihn ohne die Überzeugungsarbeit des Adjektivs vorbringen.
Wörter, die gerne ‚zusammen auftauchen‘ nennt man in der Linguistik heute ‚Kollokationen‘. Der Journalismus arbeitet daran, möglichst viele Deutschsprechende von ihren Sprachgewohnheiten abzubringen und ihnen die eigenen Kollokationen anzugewöhnen wie: – Schonungslose Kritik
– Krude Theorie usw.
Es gibt überhaupt gar keinen Grund von einer kruden Theorie zu sprechen, wenn man das Wort ‚krude‘ sonst nie verwendet. Auch ‚rohe Theorie‘ bräuchte zumindest einen Kontext, um verständlich zu werden.
Es folgt Teil III
Anmerkungen:
- Korrektur, da die Deutlichkeit oder Undeutlichkeit von Gedanken eine große Rolle spielt. Ich kann es nicht sehr stark geglaubt haben, da ich es noch nie davor gesagt hatte. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass jemand es zu mir gesagt hat. Man lernt in Streitgesprächen auch nicht, zuerst eine Hierachchie oder ein Geflecht von eigenen Ideen aufzubauen und diese dann nach der Wichtigkeit vorzubringen, sondern man sagt im Eifer des Gefechts das, wovon man glaubt, dass der andere es nicht bestreiten kann oder will.
- Le problème du style – Remy de Gourmont
- Anfang des siebten Buches von Politeía, oder: der Staat
- https://de.wikipedia.org/wiki/Scripted_Reality
- ALPHA-Wellen (7-14 Hz): Tief im entspannten und dennoch bewussten Zustand findet man den Frequenzbereich, in dem die ALPHA-Gehirnwellen ermittelt werden. Er liegt genau zwischen der Bewusstseinsform des Schlafens und des Wachseins. Man fühlt sich absolut entspannt, ist aber dennoch wach. Man sagt, dass das Unterbewusstsein während dieses Zustands sehr zugänglich für neue Informationen ist – „eine ideale Voraussetzung für gesteigertes Lernen“.
- A Few Don’ts by an Imagiste – Ezra Pound
Um etwas auszuholen….
Wenn Erigena (Johannes Scottus Eriugena 9.Jhdt.) ein Teil seiner Übersetzung der Bibel als allegorisch verstanden hat, was durch seine Verurteilung kirchlicher Kreise belegbar scheint, kann sich Ezra Pound schwer auf ihn berufen, wenn er in Guide to Kulchur (S. 165) das „Diktum Erigenas“ anspricht, selber aber im gleichen Atemzug NICHT ausführt WAS genau er damit meint. Immerhin aber konstatiert, dass „…Autorität in der materiellen oder archaischen Welt von angesammeltem Prestige komme, das auf Intuition beruht. …wir haben Vertrauen in einen Menschen, weil wir ihn (in seiner Gesamtheit) für klug und ausgeglichen halten…“ „We play his hunch“ steht dann dort. Was wohl meint, dass wir (s)einer Imagination, einem Gefühl (eines Anderen?) erliegen, auf den Leim gehen. Auf Grund seines Fluoreszierens. Verschärft vielleicht, wir tanzten nach dessen Pfeife. „Bestenfalls“ noch nach unserer eigenen. Ist es so, dass Pound im Versuch eine der „Unarten“ von Prämissen, dem unhinterfragten Annehmen und Voraussetzen selbst erliegt, wenn er gar nicht bespricht, dass Erigena ebenso „nur angenommen“, da allegorisch interpretiert hat?!? Aber diese Annahme wäre recht S pekulativ, weil partikular. Was aber wäre das O perativ dazu?
Was dies mit vorliegendem essay zu tun hat?
Schopenhauers Zitat im essay beschreibt eben jenes Treiben auf Allgemeinplätzen die als eigentlich, oder wahr, oder tatsächlich gelten, wonach bei Pound eben jener Mensch übrigbleibt, der „nicht ganz da ist“, und nur eine partielle Existenz hat, irgendwie ungeerdet scheint. Ebenso wie das aufgeführte Beispiel von „Wortefelder“ dies praktisch verdeutlicht um mit der idées reçues (den flachen Vorurteilen), Flauberts fort zu fahren.
Mann könnte diese Unart das „spekulative Narrativieren“ in immer trüber werdenden Wässern bezeichnen, das „reden, nachreden und Verfallen sein“ das Heidegger meinte, als er erkannte: „Man meint dasselbe, weil man das Gesagte gemeinsam in derselben Durchschnittlichkeit versteht“.
Von dieser Aussichtsplattform ins Halbdunkel ist es nur ein kleiner Schritt in spekulative Geschichtsschreibung. z.B. und weitere Irrgärten menschlichen Daseins…
Immerhin besteht „Hoffnung“ im Dschungel des Gesagten und Gemeinten, dann nämlich wenn oben zitierter Pound im gleichen Abschnitt konstatiert: „But we are by that time playing with language as valuable as playing tennis to keep oneself limber“.
Ich nehme an er meint einen Art Ausgleich zu unserem Bemühen „die Dinge“ und uns darinnen und dazwischen zu verstehen. Und dennoch, oder gerade deswegen finden wir uns immer wieder in einer Art pingpong auf dem Spielplatz des Lebens wieder. Was zur Beweglichkeit der Geister nicht das Schlechteste wäre, gerade dann, wenn es auch noch in der Physis, z.B. immerhin im Tennis Match stattfinded.
Und solche spielte Pound ausführlich….
Ja, das hat in der Tat viel zu tun mit dem Essay. Danke.
„Wenn ein Code aufhört, als annähernder Ausdruck von Prinzipien oder eines Prinzips betrachtet zu werden, und statt dessen zu etwas Heiligem an sich erhöht wird, setzt Perversion automatisch ein. Die versuchte Quadratur der Natur mit diesem Code führt zwingend zu pervertiertem Denken. Die Mohammedaner haben ihre eigene Zivilisation ausradiert oder zumindest haben sie ihre eigene Vitalität zu 90 % verstümmelt und verkrüppelt, indem sie den Konformismus und die Orthodoxie verherrlichten.
Code-Anbetung haftet nicht grundlos Völkern an, die auf einem nomadischen Niveau stehen geblieben sind.
Ich kann nicht überbetonen, dass die katholische Kirche zu verrotten begann, als ihre Hierarchie aufhörte an ihre eigenen Dogmen zu glauben. (…) Die Kirche steigt empor, wenn die Zivilisation um sie herum steigt. (…) Shaw hat wenigstens eine legitime Aussage beigetragen, indem er sagte: Konversion des Wilden zum Christentum = Konversion des Christentums zum Wilden.
Zivilisiertes Christentum stand nie höher als in Eriugenas „Autorität stammt aus wahrer Vernunft“.“ S. 164
(Ich habe lange über die Übersetzung dieses letzten Satzes nachgedacht – Original von Pound: Authority comes from right reason).“
Für Pound war das der Gegenentwurf von „Might is right“.
Die von Ihnen genannte Stelle (mit obigem Kontext) habe ich folgendermaßen verstanden:
„Sogar Eriugenas Diktum kann man untersuchen. Autorität kann in einer materiellen oder primitiven Welt angesammeltem Prestige entstammen, das auf Intuition basiert. Wir haben Vertrauen in jemanden, weil wir ihn in seiner Ganzheit als intelligent und ausgeglichen betrachten. Wir folgen seiner Intuition. Wir vollziehen einen Glaubensakt. Das hat Eriugena zwar nicht gemeint, aber es steht nicht im Widerspruch zu seiner Aussage, sondern erweitert sie.“
Es ist nicht unbedingt schlecht, der Intuition eines anderen zu folgen, man kann auch viel lernen (wenn es die richtige Person ist). In der Rolle stecken bleiben macht einen aber möglicherweise wirklich zu einen ‚Bauern‘ auf dem Schachbrett.