Abgrund

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Die Leute hocken in der Angst

früher hießen sie noch Menschen

heute gucken sie in den Abgrund

früher hatten sie noch einen drinnen

den haben sie jetzt nach draußen verlagert

vor dem stehen sie jetzt

und glotzen den ganzen Tag

und machen die Ritualien

der Maximalverbiegung mit

und tun so wie früher

weil sie früher wie modern getan haben

deswegen heißt SIE auch MODERNA

das ist jetzt aber altmodisch geworden

deswegen gucken sie nur noch

sind aber nicht mehr

und sie können auch nicht mehr sein

weil sie vor der Umstellung schon

ihr SEIN 

an der EDEKA Kasse vergessen haben

jetzt geh’n sie hin

finden aber nur noch das Laufband

und das gibt kein Gas mehr

es steht still

die Kassiererin hat sich aufgehängt

und der indische Ersatz

ist noch nicht schußreif


3 Kommentare

  1. Es kommt freilich auch vor, dass der Strick, mit dem die Kassiererin sich aufgehängt hat, gerade noch rechtzeitig reißt. Dann knallt sie auf den Boden (wie bei einer „milden“ Corona-Attacke) und holt sich vielleicht eine blutende Nase oder eine Beule am Kopf. Aber das Band läuft weiter, und ein paar von den Leuten, die früher Menschen waren, finden ihr vergessenes SEIN wieder und lernen das Mensch-Sein neu. Die Abgründe gähnen wie sie immer gegähnt haben, doch die Neu-Menschen gucken nicht mehr in die Tiefe, sondern nach vorn. Die Katastrophe ist wenigstens ausgesetzt (wie die Impfpflicht für Pflegekräfte in Bayern, wo jemand wiedergewählt werden will). Man nennt das einen Hoffnungsschimmer. Immerhin! Nur wer keinen Schimmer hat, tappt im Dunklen…

  2. Die Kassiererin stand dort in der Ecke. Halbverweist wie ein Heiligenschein auf einer Kuhweide, dem man die guten Taten weggenommen hat. Sie hatte da jedenfalls nichts verloren, sie war Marktflüchtig geworden und das Tischchen auf dem sie stand war ganz in sich gekehrt und bleich. Der Ast an dem der Strick hing fühlte sich einigermaßen desavouiert, jedenfalls war ihm dieser Zustand bisher unbekannt. Das Deckchen über dem Tischchen, das sich geknickt verhielt, mochte wohl auch nicht so recht an den schönen Schein glauben, dass Eine ihre Sache mit den Mitteln eines drastischen Bindfadens zu Ende bringen will. Keiner wurde gefragt. Aber es war nicht mehr weg zu bekommen, ohne dass der Beitisch sich beschwert hätte. Also hielten alle still. Er war da um den Körpersack im Falle des Falls aufzufangen. Eine Art Nebeninszenierung zum Besseren hin, falls der letzte Sprung ungewollt doch noch so schief ging, dass der EDEKA wieder ein verwaistes Kassenhäuschen beschicken könne. Der Sprung ging tatsächlich in die Hose und der Beitisch strahlte in seiner Funktionalität Leben zu retten ohne dass er eine Maulwindel vor seiner Schublade hätte. Die Dame hatte den niederen Weihen eines Genickbruch ein Schnippchen geschlagen nur weil sei mit dem Anschein auf Leben eine bessere Figur zu machen glaube. Sie hat bewußt gewackelt und hielt nicht ruhig, dass es gar nicht anders ging, als dass sie unsachgemäß ausrutschte und sich so der Dunkelheit des Hoffnungsschimmers entledigte. Denn der, so meinte sie in der finalen Szene bevor es weiterging,raunzt sowieso meistens: Was kommt denn danach? Wie will sie das vorher wissen. Also läßt sie’s lieber gleich, den Hoffnungsschimmer, dass es weiter gehe und geht jetzt lieber zum EKZ.

    Dem EinKaufsZentrum. Für den EDEKA war sie gestorben.

    mit kollegialem Gruß
    Harry Kirsch’na

    1. Meine Güte, so viel Materialaufwand für einen gescheiterten Suizid! Wenn man dergleichen vorhat, darf man eben nicht wackeln. Dies zumindest lernen wir daraus. Immerhin: Die Kassiererin lebt (wenigstens dem Anschein nach) – außer für den EDEKA. Der ist am Ende in jeder Hinsicht der Dumme. Die Untote .entfleucht zur Konkurrenz, und der noch lange nicht schussreife indische Ersatz hockt irgendwo an der Außengrenze der EU (= Europas Unglück), wartet auf sein Visum, das nicht kommt, weil es in den Korridoren des zuständigen Bundesaußenministeriums ver(baer)bockt wurde. Also bleibt das Kassenhäuschen leer – wahrlich nicht gut für den Umsatz. Irgendwann wird es heißen: Der EDEKA ist pleite. Obwohl er doch gar nichts dafür kann, dass die schusseligen Kunden, die man früher Menschen nannte, ihr SEIN an der Kasse vergessen haben. Oder etwa doch? Vielleicht, weil der Mensch zum bloßen Konsumenten degeneriert ist und der EDEKA dadurch fette Gewinne erzielt? Aha! Spätestens jetzt stellt sich die Frage nach dem, was jedem Text zwingend zugrunde liegt, nämlich nach seinem Subtext. Einen leichten antikapitalistischen Affekt, verehrter Kollege, können Sie nicht leugnen. Möglich, dass dieser Affekt (Konsumterror!!) weniger einer überholten Ideologie entspringt als sehr persönlichen Supermarkt-Erfahrungen von traumatischer Tragweite, die allmählich aus dem Unterbewusst-Sein aufsteigen und unmerklich die Feder führen. Der Griff in die unteren Regale, wo die niedrigpreisigen Produkte darauf warten, dass sich jemand nach ihnen bückt, während die Geschäftsleitung darauf spekuliert, dass eben dies nicht allzu oft geschieht.- dieser von Geiz, Geldnot oder Genügsamkeit diktierte Griff ins Ungewisse ist dem russischen Roulette durchaus vergleichbar. Ein Wein für 1 Euro 99 bringt einen zwar nicht um (in der Regel), aber man riskiert eine Magenverstimmung. Kommt es dazu und passiert einem das immer wieder, wird man zum Pessimisten. (Nichts ist so schlimm, dass es nicht noch schlimmer werden könnte.) Und der EDEKA ist der Feind. Nieder mit ihm! Doch man mache sich nichts vor: Der Kassiererin ergeht es, genauso wie den Konsumenten, im EKZ nicht besser. Sollte man da nicht konsequent sein und das „E“ von vorneherein weglassen?

      Nichts für untot…äh…ungut
      A.Point

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